Samstag, September 27, 2008

Manche Rollenspiele spielt man anders

Jeder kennt die Grundpfeiler des so genannten klassischen Rollenspiel: "Die Spieler spielen ihre Charaktere. Der SL kontrolliert die Welt. Wenn ein Charakter etwas tun will, wird gewürfelt um zu sehen ob es gelingt."

Das sind die Grundpfeiler von D&D und damit auch die Grundpfeiler des klassischen Rollenspiels. Nun muss man bedenken, dass D&D aus dem Umfeld des Wargamings entstanden ist, welches einen weiteren impliziten Grundpfeiler mit sich brachte: "Wenn alle am Tisch das Gleiche wollen, gibt es kein Spiel." Bei D&D wurde dieser Gedanke mit der Trennung von SL/Welt und Spieler/Charakter übernommen. Die Spielwelt (und damit auch der SL) würde niemals in Gefahr geraten das selbe Ziel wie die Charaktere zu verfolgen. Eine Spielwelt hat schließlich kein Ziel. Diese fehlende Angleichung zwischen den Spielzielen verleiht dem klassischen Rollenspiel seine Dynamik und seine Energie. Im klassischen Rollenspiel spielt der SL seine Welt nicht gegen die Charaktere; er spielt sie ihnen aber auch ausdrücklich nicht in die Hände. Nur so entsteht das Spannungsverhältnis in dem ein Sieg der Charaktere wirklich erkämpft und verdient ist.
Wenn man sich das vor Augen hält, wird auch deutlich warum manche Regelkonzepte oder SL-Techniken überzeugten "old school" Spielleitern zuwider sind.

Es ist aber nunmal so, dass es neben diesen klassischen Spielleitern auch immer eine Spielweise gab, welche genau dieses Spannungsverhältnis aufzuheben suchte, da es dieser "anderen" Spielweise direkt entgegenwirkte. Hier spielte man nicht um mit seinem Charakter einer Welt einen Erfolg abzuringen, die kein Deut an einem interessiert ist. Stattdessen setzt der spielerische Akt vorher an und zwar bei der gemeinsamen Erschaffung der Spielwelt bzw. Spielebene. Damit sei alles gemeint was man sich im Rahmen des Rollenspiels vorstellt. Angefangen mit den Charakteren, ihren Persönlichkeiten, ihren Geschichten, den sozialen Verhältnissen in denen sie leben, die Dinge die sie tun, usw, usf. Es gibt kein Ende an Dingen, um die man die gemeinsame Vorstellung erweitern könnte. Die Grenzen setzt allein die eigene Phantasie. Das Spiel besteht darin diese Dinge untereinander zu vermitteln, sie zu entwickeln und im Konsens die Vorstellungswelt zu erweitern. Der Spielspaß bzw. Spielgenuss ist jedoch keine Folge dieser kooperativen Interaktion, sondern ergibt sich daraus ob die gemeinsam erschaffene Spielwelt den aesthetischen Ansprüchen der Spielenden nahe kommt. Einfach gesagt: ist das was wir uns erspielt haben "gut"? Selbstverständlich sind diese Maßstäbe von Gruppe zu Gruppe (zum Teil radikal) und von Spieler (meist nur geringfügig) verschieden. Die eine Gruppe misst das womöglich daran ob die erspielten Ereignisse einer typischen Geschichte eines bestimmten Genres entsprechen. Eine andere wünscht sich ähnliche emotionale Reaktionen wie beim Lesen eines Buchs oder eines Films. Wieder anderen ist das Interagieren mit einer möglichst detaillierten und damit glaubwürdigen Spielwelt wichtig. Je nachdem welche Dinge die Gruppe gemeinsam erschafft, können andere Maßstäbe gelten und angelegt werden.

Verblüffend ist daran eigentlich nur, dass es nicht wenige Leute gibt, die dermassen fest in einem der zwei Lager stecken, dass sie nicht in der Lage sind sich die jeweils andere Spielweise auch nur vorzustellen. Spieler, die schlicht und ergreifend nicht anders können, als ausschließlich in Begriffen von Konfrontation und Sieg/Niederlage zu denken. Der Gegenpart dazu findet sich bei Leuten wieder, die Schwierigkeiten damit haben einen gemeinsamen Zeitvertreib mit den Ansprüchen typischer Spielkonzepte ("Nur einer kann gewinnen.") zu vereinbaren. Aus naheliegenden Gründen hören viele dieser Leute mit Brettspielen oder (klassischen) Rollenspielen nach einer Weile auf. Ich vermute es ist auch diese oft übersehene Gruppe der Spielenden, die The Sims zum meistverkauften Spiel aller Zeiten machen oder die stille Masse bei WoW sind, welche die meiste Zeit damit zubringen rumzulaufen, fremde Charakere anzuquatschen und an Gilden und Raids wenig Interesse haben.

Dieses Spielverständnis ist bei weitem kein neues Phänomen. So wird nicht erst gespielt seit dem "Forge-spiel" ein im Internet geläufiger Begriff ist. Sowohl Vampire als auch Call of Cthulhu waren vor allem deshalb so weit verbreitet, weil genau diese Neigung zum gemeinsamen Erschaffen und Genießen angesprochen wurde. Selbst unter den old school D&D-Spielern stand für viele (wenn nicht sogar die meisten) die Erforschung und Vorstellung im Vordergrund und nicht das Hin und Her, das im Konfrontationsspiel ausschlaggebend ist. Auch sind die Re-interpretation von OD&D in Deutschland (d.h. Das Schwarze Auge) und die Richtungsänderung, die Cthulhu im deutschen Markt durchlief, so recht einfach zu erklären. Es ist der (nicht immer völlig geglückte) Versuch diesen "anderen" Spielansatz zu unterstützen.

Unter diesem Vorzeichen sind auch viele Spiele zu verstehen, in denen die klassische SL-Rolle aufgebrochen wird. Spiele, bei denen mit verteilten Erzählrechten gearbeitet wird oder in denen ein Spielelement nur so wirksam ist, wie es die Spielenden/Schaffenden für wichtig oder formgebend empfinden. Denn in einem solchen Spiel dienen die Regeln nicht dem Formen eines Spannungsverhältnisses zwischen den Spielenden. Es geht in solchen Spielen nicht um die Verknappung wichtiger Spielressourcen oder das Ringen um einen Spielgegenstand. Stattdessen werden die Regeln angewandt um die gemeinsame Vorstellung, die Spielwelt so zu formen und zu verändern, dass sie gefällt; dass sie gut genug ist.

Das ist ein nicht zu unterschätzender Punkt in dieser Herangehensweise. Der Spielgenuss bzw. der Spielspaß ist eng damit verknüpft wie streng die eigenen Maßstäbe angesetzt werden, die man an die erspielte Vorstellungswelt hegt. So wie im "klassischen Rollenspiel" geschenkte oder erschummelte Siege wenig Spaß bereiten, trübt es den Spielspaß merklich wenn man es mit der Qualität der Spielrunde (gemessen an dem was die Spieler eben in der Spielwelt für wichtig halten) nicht ganz so ernst nimmt.

(Am Rande: die Begriffe "klassisches Rollenspiel" und "anderes Rollenspiel" sind natürlich beim genaueren Hinschauen eher sinn-verfälschend und ich habe sie nur der Lesbarkeit wegen übernommen. Ich halte Bezeichnungen wie "divergentes Spiel" und "aesthetisches Spiel" für treffender.)

Dienstag, September 23, 2008

D&D4: Erfahrungen eines Spielleiters

Am Wochenende hatte ich die Gelegenheit D&D4 für eine vollkommen neue Gruppe zu leiten. Eine Spielvorstellung die vom Nexus e.V. organisiert wurde.

Die Spieler kannten sich untereinander nicht. So war es auch unvermeidbar, dass die Hälfte der Gruppe zu Beginn der "Ich schtups es an und schau was passiert"-Schule des Rollenspiels folgte, was das Spiel zwar voranbrachte, aber aufgrund der wohlüberlegten Handlungsweise der Charaktere, nicht so flott und schnell voranging wie ich es sonst gewohnt bin.

Mir fiel auf, dass ich die Kämpfe bei D&D4 merklich anders leiten muss als ich es von anderen Spielen (vor allem WFRP) gewohnt bin. Die Kämpfe sind stärker und fester strukturiert. Dies liegt vor allem daran, dass die Powers und ähnliches darauf angelegt sind im koordinierten Zusammenspiel zwischen den Charakteren angewandt zu werden. Etwas was gegen Ende der Spielrunde, als sich die Spieler stärker an die Gruppe und ihre Charaktere gewöhnt hatten, den Spielern deutlich wurde. Das bedeutet leider auch, dass man als SL sehr sicher in seinem Verständnis der Regelkonzepte sein muss, um die Kampfregeln fair, flüssig und fiktionsfördernd auf das Spiel anzuwenden. Die Richtlinien für einen guten Kampf (Teil 1, Teil 2 und Teil 3), lassen sich bei D&D4 nicht allein über die Fiktion ausüben. Wer sich als D&D4 SL nicht diese nötigen Regelkompetenzen erarbeitet hat, der wird – wie ich – einen eher kahlen und trockenen Kampf spielen. Ich war es recht schnell leid, die unterschiedlichen Saves, NSC-Angriffe und ähnliches nachzuschlagen und habe dann lieber eine vereinfachte Version genommen. Damit erschließt sich einem natürlich nicht der gesamte Facettenreichtum der durchaus komplexen Kampfregeln, aber ich konnte so zumindest zeitraubende Blättereien verkürzen.

Aber das Herzstück von D&D ist seit jeher alles was außerhalb des Kampfes passiert. Das gerade hier 4E mit den Skill Challenges anscheinend Regelballast einbringt, hat für so einige erhitzte Gemüter gesorgt. Im tatsächlichen Spiel hingegen entpuppen sich die Skill Challenges als etwas was zu 80% der Spielvorbereitung des Sls dient und die rollenspielerische Interaktion sehr dezent einrahmt. Die Skill Challenge in Kombination mit den Treasure Parcels entpuppte sich als sehr flexible und hilfreiche Ressource um die Situation regelsicher und flüssig ablaufen zu lassen.

Es wäre eine Überlegung wert, eine Liste der Regeln zu erstellen, die man während der ersten paar Spielrunden D&D4 ausblenden sollte, um sich in das neue Spiel erstmal einzufinden. Es gibt so einige Regelkniffe, die mit Sicherheit auf höheren Levels und in hoch komplexen Kämpfen eine Rolle spielen, aber die zu Beginn eher unnötiger Ballast sind. Die unterschiedlichen Arten an Würfelboni etwa oder die genaue Trennung zwischen Shift und Movement, wenn man auf weiten und offenen Gelände kämpft.

Sonntag, September 14, 2008

D&D4: Nur die Regeln funktioniert nicht

Es ist ein faszinierendes Phänomen, dass viele Leute neue oder irgendwie andersartige Rollenspiele als zu regellastig oder immersionsbrechend wahrnehmen. Von einigen wird dieser Vorwurf auch umgehend mit „das ist gar kein richtiges Rollenspiel mehr“ gepaart. Aber ist das wirklich so? Ich denke, dass beim ersten Zusammentreffen zwischen Rollenspielern mit einer eigenen Spieltradition und Rollenspielen, die diese Traditionen an einzelnen Punkten gezielt aufbrechen etwas sehr bemerkenswertes passiert.

Bisher habe ich solche Situationen immer in eine von zwei Varianten ausspielen gesehen, wenn ein neues, abgefahrenes Rollenspiel eine Regel oder ein Regelkonzept beinhaltet, dass nicht dem entspricht was die Gruppe bereits kennt.

Variante 1: Das neue Konzept wird nahtlos in den bekannten Spielverlauf eingefügt. Die bekannte und übliche Spieltradition der Gruppe wird leicht verändert. Das Spielerlebnis ist merklich anders und erfrischend, aber weist all die gleichen Merkmale einer typischen Spielrunde auf. Das Spiel ist gleich, der Weg ist nur ein anderer. Diese Variante tritt häufig bei Gruppen oder Spielern auf, die die Funktionsweise des ersetzten Regelkonzepts verstehen. Wenn die Gruppe also weiß warum sie das Aussehen ihrer Charaktere selbst bestimmt sollten, dann kann man diese Dinge auch mal zufällig bestimmen oder von seinen Mitspielern. Wenn die Gruppe also weiß warum sie Details oder „Color“ beschreiben soll, dann kann sie auch gut damit umgehen wenn diese Color nicht von ihnen kommt, sondern zufällig ermittelt oder irgendwie vorgegeben wird.

Variante 2:
Sobald man auf eine andersartige oder fremde Regel trifft, bricht man sofort mit sämtlichen Annahmen über eine Rollenspielrunde und betrachtet das neue Regelwerk als wäre es ein in sich geschlossenes Spiel, welches selbsterklärend und aus sich selbst heraus spielbar ist. Anders gesagt, man reduziert seine eigene Beteiligung am Spiel allein auf die Interaktion mit den Regeln, statt sich der Freiräume zu bemächtigen, welche durch diese anderen Regeln entstehen. Das bekannteste Beispiel dafür sind Rollenspielrunden in denen „traditionelle“ Rollenspieler zum ersten Mal mit verteilten Erzählrechten spielen. Statt sich an die Dinge zu halten, die man sonst von Beschreibungen des SLs erwarten würde (z.B. realistisch, stimmungsvoll, Informationen liefernd und sich nahtlos in das Geschehen einfügen, etc.) kommt es manchmal zu den absurdesten, irrsinnigsten und alles andere als spielfördernden Aktionen. Allein der Regeltext selbst wird als verbindlich akzeptiert.

Aber diese Variante kann sich auch anders äußern. So kann diese völlige Reduzierung des Spiels auf die Regeln auch dazu führen, dass die Spielrunde trocken und farblos wird und nur noch ein abstraktes Würfelspiel übrig zu bleiben scheint. So geschehen in meiner ersten Poison'd-runde in der wir den Fehler gemacht hatten, der Fiktion nicht die Aufmerksamkeit zu geben, die wir ihr vermutlich in jedem anderen Spiel gegeben hätten. Die Folge war, dass das Spiel praktisch in sich zusammenbrach. Die Regelanwendungen ergaben keinen Sinn, die Fiktion wirkte zerfahren und zusammenhangslos. Die Charaktere liessen sich nicht mehr vernünftig spielen. Alles nur, weil wir das Spiel nicht wie ein Rollenspiel gespielt haben, sondern wie einen abstrakten Regelkreislauf, den wir zu durchlaufen hatten. Eine Herangehensweise, die bei Siedler von Catan oder ähnlichen „german boardgames“ durchaus angemessen gewesen wäre.

Meine Vermutung ist, dass es so einige Spielrunden gibt, die mit D&D4 ähnlich verfahren sind. Während Poison'd jedoch ohne die Fiktion praktisch unspielbar wird, ist D&D4 so geschrieben und womöglich auch entworfen, dass es auch dann noch spielbar ist, wenn man nur die Regeln durchläuft und nichts zur Fiktion beiträgt. Das Spiel ist dann zwar kahl und uninspiriert, aber wird dadurch nicht nennenswert gebremst oder gerät ins Stocken. Paradoxerweise ist genau dass der Grund für viele Vorwürfe gegenüber D&D4. Es lässt sich spielen ohne dass man gezwungen wird sich mit der Fiktion auseinander zu setzen. Während bei 3.x der Regelgebrauch nahezu identisch war mit einer Auseinandersetzung mit der Fiktion und man so als Spieler gar nicht anders konnte, als die beiden in Kombination zu benutzen; lässt D&D4 einem die freie Wahl wie und wie stark man die Fiktion mit den Regeln verknüpfen will. Der Irrtum der von diesen Kritikern begangen wird (sowohl von den „klassischen Rollenspielern“ wie auch den neugierigen „new school“-Spielern) ist, die durch die Regeln erzwungene Qualität der Fiktion gleichzusetzen mit der angestrebten und beabsichtigtem Qualität der Fiktion. Nur weil die Regeln einen nicht dazu zwingen mit der Fiktion zu spielen, heißt das noch lange nicht dass man es weder soll, darf oder kann.

Im Gegenteil, es ist eine der Stärken von D&D4, dass man nur noch so stark in die Charakterebene und den Spielwelthintergrund eintauchen muss wie es gefällt, um das Spiel zu spielen.

Donnerstag, September 11, 2008

Poison'd - ein verdammt gutes Piratenrollenspiel

Poison'd ist ein Rollenspiel bei dem die Spieler Piraten an Bord der schicksalhaften "The Dagger" unter dem Kommando von Capt. Brimstone Jack spielen. Zu Beginn des Spiels wurde der Kapitän von seinem Koch verraten und ermordet; ein Schiff der königlichen Marine ist unterwegs um der Crew im Kampf zu begegnen und das Schiff ist sowohl vom letzten Kampf angeschlagen als auch, aufgrund der verräterischen Aktionen des Koches Tom Reed, ohne Proviant. Was vielleicht nach einem sehr eintönigen Mini-szenario klingt, ist ein sehr cleveres und sorgfältig geschriebenes Rollenspiel. Immer wieder hört man von Rollenspielern, dass sie gerne mehr Charakterrollenspiel betreiben, immersiver spielen wollen und möglichst wenig metagaming suchen. Poison'd ist das perfekte Spiel um bei diesen Sätzen die Spreu vom Weizen zu trennen.

Kein anderes Spiel (mit Ausnahme vielleicht von OD&D) ist so stark in der Charakterebene verankert und gibt einem dabei so viele Werkzeuge in die Hand, um ein konkretes und greifbares Spiel zu bilden. Das ist insbesondere deshalb bemerkenswert, da das Spielelement weiterhin direkt in die Charakterebene mündet und so unweigerlich einen Schwerpunkt auf Charakterisierung, Storyentwicklung und Plot legt. Das beginnt bereits bei den Charakteren, welche ihre Eigenschaften/Attribute direkt aus ihrer Hintergrundgeschichte ableiten. An Hand der Ziele, die der Pirat verfolgt; der Sünden, die er begangen hat und der Dinge, die er erleiden musste ermitteln sich die maßgeblichen Eigenschaften des Charakters. Aufgrund seines Auftretens und Aussehens leitet sich seine Kampfbereitschaft ab.

Während des Spiels treten diese Eigenschaften immer in Gegensatzpaaren auf, und werden gewürfelt um zu ermitteln ob der Pirat seine Handlung ausführt bzw. ob sie ihm einen Vorteil verschafft. Gerade dieser Punkt ist der vielleicht kontroverseste des Designs; schließlich muss der Spieler hier die oft als selbstverständlich geltende Entscheidungfreiheit über die Handlungen seiner Figur aufs Spiel setzen. So kann es schon mal vorkommen, dass der eigene Charakter sich nicht dazu bringen kann das zu tun was der Spieler entschieden hat, weil der Würfelwurf so gänzlich in die Hose ging. Oder dass der Charakter zwar tut, was der Spieler entschieden hat, aber es ihm überhaupt keinen Vorteil bringt und ihn stattdessen sogar in einen Kampf befördert. Immer wieder hat der Spieler mit den guten bzw. schlechten Seiten des Charakters zu ringen, um die Ziele umzusetzen, die er sich zu Beginn des Spiels gesetzt hat.

Aber auch auf Spielleiterseite muss man mit einigen unerwarteten Änderungen rechnen. Zum einen gibt es so gut wie keine Form der Abenteuervorbereitung. Alles passiert aus dem Moment heraus und sämtliche NSCs, Situationen und Hindernisse, die sich den Piraten in den Weg stellen, werden während des Spiels entwickelt. Auch hier greift der direkte Bezug auf der Charakterebene wieder ein. So werden die Spielwerte von gegnerischen Schiffen, Figuren oder Festungen angepasst je nachdem ob sie besonders bedrohlich sind, mit vielen Waffen ausgestattet oder etwa unterbesetzt und verzweifelt. Ein kurzes Einschätzen der Situation, ein paar Überlegungen was den Hintergrund angeht und schon ist das nächste Spielelement entwickelt. Die Geschwindigkeit mit der man hier die Welt und das Abenteuer entwickelt ist famos. All das setzt natürlich voraus, dass man als SL schnell und souverän diese Dinge aus der Charakterebene bauen kann. Ich muss zugeben, dass ich die ersten zwei Male auf dem kalten Fuss erwischt wurde und ich erst wieder hinein kommen musste in ein Rollenspiel, das so wenig auf der abstrakten Regelebene abhandelt.

Aber die eigentliche Glanzleistung ist die Art und Weise, wie die Charaktere unweigerlich die treibende und formende Kraft des Spiels sind. Der gesamte Plot, die gesamte Story entwickelt sich daraus welche Ziele die rauhbeinigen Schurken verfolgen; wie sie mit den Gefahren auf hoher See (auf sie kann von Stürmen, Wahnsinn, Krankheit und Meuterei alles auf sie lauern) und den Verlockungen an Land (Spione des Königs, ein ungestümes Lotterleben und sogar der Teufel selbst versuchen sie von ihrem Weg abzubringen) fertig werden. Wenn die Piraten sich nicht vorher in den Rücken fallen. All diese Dinge sind elegant durch die Regeln abgedeckt und laden das Spiel atmosphärisch stark auf.

Wäre dies ein 400 Seitenklopper mit endlosen Tabellen, Werten und Kampfoptionen, dann würde ich es nur begrenzt weiterempfehlen. Aber Poison'd ist ein Spiel, dass so knackig, spieltreibend und mitreißend ist wie kein zweites. Und für 7$ kann man sich per Paypal ein Rollenspiel zulegen, dass jedem Rollenspieler die Freudestränen in die Augen treiben wird, der sich beim Rollenspiel vor allem für die Charaktere, die Story oder die Atmosphäre interessiert.

(NACHTRAG: Zu haben ist das Spiel übrigens hier. Allerdings sind die Informationen zum Spiel auf der Seite mehr als dürftig.)