Donnerstag, November 20, 2008

Traditionelle Rollenspiele / divergentes Spiel

Traditionelle Rollenspiele sind Spiele, die sich einer deutlichen und strikten Trennung zwischen Spielleiter und Spieler bedienen. Eine Trennung, die sich auf die Ursprünge des Rollenspielgenres beruft. Die Charaktere werden den Spielern zugeteilt, dem Spielleiter die Regeln und die Spielwelt. Damit sind unterschiedliche und von einander unabhängige Zielsetzungen verbunden, deren Verfolgung zu einem angenehmen Spannungsverhältnis am Tisch führt, aus dem sich das Spiel entwickelt. Der unvoreingenommene und neutrale Gebrauch der Regeln, die in sich schlüssige Darstellung der Spielwelt und die ehrgeizige Verfolgung der Charakterziele sind die drei großen Kräfte, die das divergente Spiel formen.

Es wurde häufig der Fehler gemacht (und dahingehend nehme ich mich nicht aus) das aus den von einander abweichenden Zielen entstandene Spannungsfeld als Wettbewerb zu umschreiben. Das halte ich für irreführend. Zwar kann man beim divergenten Spiel diese Konkurrenzhaltung zwischen SL und Spielern suchen (z.B. im Kampf), sie bildet jedoch nur eine von vielen Variationen, die im divergenten Spiel möglich sind. Der häufigere Zustand ist jedoch eine Interaktion mit der Spielwelt, die sich eher als Entdeckungsreise oder Erlebnisurlaub beschreiben lässt. Es wird weder gegen noch mit dem Spielleiter (d.h. kooperativ und mit vergleichbarer Zielsetzung) gespielt. Stattdessen findet das Spiel im Bereich zwischen den Spielteilnehmern statt. Aus dem Hin und Her der rollenspielerischen Interaktion entwickeln sich die Ereignisse und Situationen des Abenteuers.

Dabei gilt es als Zeichen eines besonders gelungenen Spiels wenn man die Beeinflußung der Ereignisse nicht mehr genau einem Spieler zuordnen kann. Dies gilt insbesonders für den Spielleiter, aber auch manche Spieler streben das an. Ein SL, der die Spielwelt lediglich ausführt, sie jedoch nicht steuert oder nach persönlichen Vorlieben beeinflußt und lenkt ist im divergenten Spiel hoch angesehen. Aber auch Spieler, die so stark in ihren Charakteren versinken, dass sie nicht selbst sondern nur der Charakter das Handeln lenkt (bzw. zu lenken scheint), haben einen hohen Stellenwert für das divergente Spiel. Wenn man sich als Spielender völlig aus dem Spielvorgang herausnehmen kann - sich sozusagen im Spiel verliert - ist das platonische Ideal im traditionellen Rollenspiel erreicht. Befürworter nennen das Immersion.

Ein wichtiger Punkt für flüssiges und stabiles divergentes Spiel ist eine deutliche Zielsetzung für jeden Spielteilnehmer, die gewissenhaft eingehalten wird. Sind die Zielsetzungen der einzelnen Spieler ungenau und vage, führt das zu einem Spielablauf, der nur langsam und träge vorankommt. Es gibt verschiedene Mittel diese Zielsetzungen zumindest für Spieler fest zu legen. So kann der SL einzelne oder eine Auswahl von Zielen vorgeben. Manchmal wird dafür der Begriff "railroading" benutzt, was ich nicht nur für ungerechtfertigt, sondern für völlig falsch halte. Aber auch das Grundkonzept des Spiels selbst kann diese Ziele umreißen und verdeutlichen. Hier sprechen manche abfällig von einer Verbrettspielung oder ungebührendem Tabletopeinfluß. Ein Vorwurf für den ich nicht viel übrig habe, da er verfehlt ist und lediglich ein ohnehin unnötig aufgeladenes Thema noch weiter polemisiert. Als letzte Möglichkeit bleibt die vermeintlich höchste, da fehleranfälligste Form der Zielfindung. Die Spieler wählen sich ihre Ziele - häufig im Spiel - selbst aus. In diesem Fall müssen diese Ziele in irgendeiner Form artikuliert oder vermittelt werden (z.B. durch "Flags") um ein flüssiges Spiel zu ermöglichen.

Wenn die Ziele des SLs und die der Spieler sich aber zu stark entgegenkommen, so gibt es keine Spannung am Tisch und divergentes Spiel ist nicht mehr möglich. Hier lässt sich eine der Problemzonen festmachen, wenn man versucht aesthetisches Spiel und divergentes Spiel zu kombinieren. Zielt aesthetisches Spiel auf eine Koordination und Synthese der Ziele ab, wird divergentes Spiel genau dadurch geschwächt. Mit diesen Gegensätzen so umzugehen, dass ein gelungenes Spiel entsteht, braucht viel gemeinsame Erfahrung und Übung. Das ist auch der Grund, das man "eine gut eingespielte Gruppe" braucht um eine enger gefasste Kampagnenidee (d.h. eine Kampagne deren Fiktion bestimmte Merkmale aufweisen soll) in einem traditionellen Rollenspiel umzusetzen.

Mittwoch, November 12, 2008

Erzählrollenspiele & aesthetisches Spiel

Erzählrollenspiele sind Rollenspiele, die vor allem auf aesthetisches Spiel ausgelegt sind. Das macht die beiden Begriffe zu Genreunterteilungen im Bereich des Rollenspiels. So wie Strategiespiele und Partyspiele Genres im Brettspielbereich sind und die übliche Weise diese Spiele zu spielen als Genres (bzw. Spielstile) betrachtet werden kann. Sicherlich kann man diese Dinge mischen. Man könnte etwa Twister wie ein Strategiespiel spielen. Oder Axis & Allies wie ein Partyspiel, aber letztendlich gibt es in beiden Fällen eine vorgesehene Spielweise, die dem Spiel und seinen Regeldesign am ehesten entgegenkommt.

Was ist mit aesthetischem Spiel nun gemeint? Was ist die Spielweise, die diese Erzählrollenspiele fördern und worauf sie ausgelegt sind? Zuerst sollte man sich klar machen, dass die Regelideen mancher Erzählrollenspiele vielleicht innovativ sind, das aesthetische Spiel jedoch keineswegs erst mit Sorcerer, Vampire, Champions oder sonst einem Rollenspiel erfunden wurde. Der historische Ansatz ist weder hilfreich noch sinnvoll, um aesthetisches Spiel zu verstehen. Auch lässt sich über Techniken oder Vorgehensweisen nur bedingt festmachen, was das besondere bzw. eigenständige daran ist. Weder führt der Gebrauch von Bangs zwingend zu aesthetischem Rollenspiel, noch wird es durch eine "traditionelle" Spielleiterrolle unmöglich gemacht.

Aesthetisches Spiel lässt sich gut erklären, wenn man sich eine Trennung zwischen dem Erspielen/Erschaffen der Fiktion und dem Erforschen/Wahrnehmen der Fiktion vorstellt. So als würde jede Spielhandlung ein aktives und passives Element besitzen. Von Interesse ist hier vor allem letzteres und eine solche Rollenspielrunde ist nur dann zufriedenstellend oder begeisternd, wenn die Fiktion bestimmte Eigenschaften aufweisen kann, welche man durch das Spielen wahrnimmt und genießt. Es hängt dabei vom aesthetischen Empfinden (oder einfach Geschmack) der Spielenden ab, welche das sind. Ein erkennbarer Spannungsbogen kann eine solche Eigenschaft sein, oder eine besonders glaubwürdig wirkende Spielwelt. Aber auch Charaktere mit plausiblem und durchdachtem Verhalten können für den aesthetischen Genuss der Rollenspielrunde von hoher Wichtigkeit sein. Letztendlich gibt es so viele mögliche Eigenschaften wie ein jeder Spieler erkennen und benennen kann. Um aesthetisches Spiel zu verstehen, muss man keine erschöpfende Kenntnis dieser möglichen Eigenschaften haben.

Man muss nur wissen, dass die Fiktion sich durch etwas auszeichnen kann und man im aesthetischen Spiel genau das erschaffen und wahrnehmen will..

Interessant ist hier, dass unterschiedliche Vorlieben für die eine oder andere Eigenschaft nicht zu Spannungen am Tisch führen müssen. Je unterschiedlicher die Vorlieben der einzelnen Spieler jedoch sind, desto schwieriger ist es eine Fiktion zu schaffen, die gefällt. Ein Spiel in dem die Fiktion nur eine Eigenschaft besitzen muss, ist einfacher als eines in dem die Fiktion fünf oder sechs Eigenschaften aufweisen muss, um die Spielenden zufrieden zu stellen. Wenn man diesen Punkt noch mit unflexiblen und konsensscheuenden Spielern kombiniert, landet man unweigerlich bei einer Runde, die aufgrund "zu unterschiedlicher Spielstile" nicht gemeinsam spielen kann.

Aber selbst eine eingespielte, traditionelle Gruppe, die mit Begeisterung aesthetisches Spiel betreibt, kann mit manchen Erzählrollenspielen Schwierigkeiten haben. Ein Regelwerk welches darauf ausgelegt ist bestimmte Eigenschaften untrennbar mit dem Spiel zu verbinden, andere vernachlässigt und wieder andere völlig unberührt lässt, kann oft zu unbefriedigenden oder frustrierenden Spielrunden führen. Aesthetisches Spiel lebt vor allem davon, dass man sich sowohl auf die Eigenschaften einlässt, die das Regelwerk zur Fiktion beiträgt, als auch die bevorzugten Eigenschaften der Mitspieler erkennt und Konflikte damit vermeidet.

Montag, November 10, 2008

Vom Tod des Erzählrollenspiels

Angeregt von einem kurzen Plausch mit Tim Struck auf der Spiel in Essen, habe ich mir Gedanken über Erzählrollenspiele gemacht. Tim meinte, dass Erzählrollenspiele (in Deutschland) tot seien. Eine Feststellung, der mir stark überdramatisiert erscheint. Allerdings stimme ich voll und ganz zu, dass der Glanz des Neuen, des Anderen und Innovativen mittlerweile nachgelassen hat. Ein Rollenspiel, das Erzählungen und Beschreibungen nach vorne stellt, lockt niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Mit "weniger würfeln, mehr Rollenspiel" werden nur noch die angelockt, die die Zahl an ihnen bekannten Rollenspielen an einer Hand ablesen können.

Es steht ausser Zweifel, dass Viele wieder in die vertraute Umgebung der traditionellen Rollenspiels mit ihren enzyklopädischen Regelwerken und klaren, griffigen Grundlagen laufen. "Die Spieler kontrollieren die Charaktere, der SL spielt die Welt" und "Würfele, ob deine Aktion gelingt" sind Konzepte, die so ausgiebig beschrieben, umschrieben, erweitert und variiert wurden, dass man sich auch als Neuling schnell und problemlos dazu schlau machen kann. Die Themen sind sicherlich nicht erschöpft, aber man steht auch nicht alleine da, wenn man nicht weiter weiß.

Das ist beim Erzählrollenspiel nicht der Fall. Es fehlt ein lebhafter Diskurs über die Spielweisen und Vorgehensweisen. Es gibt kaum Austausch darüber was man vom Erzählrollenspiel zu erwarten hat, was es bietet und was nicht. Welcher Techniken man sich bedienen kann, sollte oder muss. Oder einfache Erfahrungsberichte, die das Spielerlebnis und nicht das Spielresultat beleuchten. Es scheint beinahe so als ob Erzählrollenspiel lediglich als nicht-traditionelles Rollenspiel abgehakt wird. Als wären diese Rollenspiele nur das was traditionelle Rollenspiele nicht sind.

Das halte ich für einen großen Fehler. Erzählrollenspiele zielen auf ein gänzlich anderes Spielerlebnis ab. Ein Spielerlebnis, welches über die Fiktion erreicht wird, d.h. über die erspielten Ereignisse, die vorgestellten Charaktere und die erforschte Spielwelt. Das Erfreuen an der gemeinsam erschafften Fiktion steht im Vordergrund. Der Genuß, der sich daraus ziehen lässt, dass die Fiktion gefällt, ist ein aesthetischer. Daher nenne ich dieses Spielerlkonzept aesthetisches Spiel.

Man sollte nicht den Fehler machen, aesthetisches Spiel als direkt entgegengesetzt zu dem zu sehen was man in "traditionellen Rollenspielen" betreibt. (In einem vorherigen Blogeintrag habe ich das als divergentes Spiel bezeichnet, ich werde das in einem späteren Eintragt noch etwas ausbauen). Das sind zwei unterschiedliche Dinge, die sich überschneiden können, nicht müssen und eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Sie sind unter gewissen Voraussetzungen sehr gut kombinierbar, aber das Spiel gewinnt nichts dadurch, dass man gleichzeitig divergentes als auch aesthetisches Spiel betreibt. Sowohl das eine als auch das andere kann alleine für viel Spielspaß sorgen. Das alles sind Punkte, die beinahe selbstverständlich sein könnten, wenn man so unbefangen über Erzählrollenspiele reden könnte und würde, wie man es über "traditionelle Rollenspiele" tut.

Erzählrollenspiele sind nicht tot, sie haben nur ihre Geburt hinter sich gebracht. Interessant ist jetzt was man mit den Erfahrungen und Ideen, die mit Erzählspielen angekündigt wurden, macht und wie sich das auf Spielgewohnheiten und neue Rollenspiele auswirken wird.