Donnerstag, Juni 18, 2009

Warum Storytelling nichts mit Story zu tun hat

Im lustigen Derwischtanz der Spielstile, der im Internet immer wieder und ununterbrochen ausgetragen wird, fällt oft der Begriff Story um eine bestimmte Vorliebe im Rollenspiel auszudrücken.

In Ermangelung an besseren Begrifflichkeiten lässt sich das zu einem gewissen Grad sicherlich vertreten. Allerdings denke ich, dass gerade bei den Kritikern (oder den frotzelnden Hampelmännchen, die sich dafür halten) ein falscher Eindruck davon entsteht, was Rollenspieler, denen "Story" wichtig ist, sich in einer Spielrunde wünschen.

Zum einen ist Story keine Umschreibung für einen dramaturgisch geformten Plot. Ein Abenteuer besitzt nicht plötzlich Story, nur weil man die Ereignisse unter anderen Gesichtspunkten erspielt hat als einer bedingungslosen Simulation der Spielwelt. Story ist nicht das Gegenstück zu Realismus. Story ist auch nicht das Gegenstück zu regeltreuem Spiel. Nur weil ein SL oder ein Spieler mit den Worten "wegen die Story, weischt?" sagt, um irgendeine Aktion zu rechtfertigen, hat man noch nicht Story in seine Rollenspielrunde bekommen.

Story in einem Rollenspiel hat aber vor allem recht wenig mit dem zu tun, was man in anderen Medien als Story bezeichnet. Und hier liegt das größte Problem. Story meint jeder zu kennen, weil jeder Filme, Bücher und Fernsehsendungen schaut. Aber Rollenspiele sind keine unveränderlichen Medien. Es gibt keinen vorgefertigten Plot und damit ist es kaum möglich eine vorgefertigte Story zu haben. Es kann auch keine Story geben, die Stück für Stück freigespielt wird, wie man es aus Videospielen (z.B. GTA) kennt. Zwar lässt sich so eine Spielstruktur problemlos auf Rollenspiele übertragen; sie ist aber lediglich mit einem Storyanspruch kompatibel ohne ihn konkret umzusetzen. Man kann auf diese Weise Story in die Rollenspielrunde bringen, aber sie geht nicht zwingend daraus hervor.

Um das Bedürfnis nach Story zu verstehen, muss man sich zuerst deutlich machen, dass es weder um bestimmte Spielinhalte, noch um spezielle Techniken geht. Story ist nicht gleichbedeutend mit düsteren Settings, Metaplots, Regeln für die Persönlichkeit der Charaktere oder abstrakten, nicht die Spielwelt abbildenden Mechaniken. Story heißt auch nicht gleich weniger kämpfen, mehr in-character sprechen oder stimmungsvolle Atmosphären schaffen.

Story entsteht wenn die Spieler die Spielwelt, die Charaktere und die Ereignisse des Abenteuers nicht allein als Ressourcen, Zahnrädchen einer Handlungsmaschine oder Hindernisse, die es zu überwinden gilt, sehen. Es ist dieser Mehrwert an Spieltiefe, den man mit Story zu fassen versucht. 3-Akt-Strukturen, Kommunikationsmodelle oder Ideen aus dem Improvisationstheater darauf anzuwenden, ist deshalb immer ein Schritt zu kurz gedacht. Diese Dinge finden sich nicht wirklich im Story Rollenspiel wieder. Stattdessen sind sie die persönlichen Hilfsmittel mit denen einzelne sich diesen Teil des Rollenspiels begreiflich machen. Sie sind lediglich ein Versuch die persönliche Auseinandersetzung mit der Fiktion des Rollenspiels in Worte zu fassen.

Diese Auseinandersetzung, diese Story-dimension des Rollenspiel, wird dabei maßgeblich davon geformt, wie viel Anspruch und wie viel Aufwand man an das Spiel herantragen will und kann. Insbesondere der SL kann dem geneigten Spieler hier einen Strich durch die Rechnung machen, in dem er eine tiefergehende Beschäftigung entweder auf der Spielerebene (z.B. in dem er es als zu nerdig oder prätentiös ablehnt) oder auf der Spielebene (z.B. in dem er wiederholt plumpe oder rein spiellogische Entscheidungen trifft, welche die Fiktion zu "fluff" degradieren) blockiert. Das kann schnell dazu führen, dass man eine unüberbrückbare Trennung zwischen taktischen Elementen und Story im Rollenspiel wahrzunehmen glaubt. Wenn es in Wirklichkeit lediglich eine unzureichende Leistung auf Seiten der Spieler war, diese Aspekte aufeinander aufbauen zu lassen.

Umgekehrt macht sich auch das abstruse Ammenmärchen breit, das "old school" Spielstile oder lachhafte Dogmen wie ARS in der Lage wären "Story" zu ermöglichen. Dass man selbst in den taktisch-strategischsten Runden eine unsagbare Story-tiefe erreichen konnte, von der selbsternannte Storyspieler nur träumen. Hier wird selbstverständlich das Pferd von hinten aufgezäumt. Es steht natürlich außer Frage, dass Spielrunden mit einem starken taktisch-strategischen Einschlag Story nicht ausschließen. Aber das ist dann eine Leistung der Spieler und hat nichts mit Spielstilen/Dogmen und ihrer vermeintlichen Flexibilität zu tun. Es sind die Spieler, die gewillt sind mehr als nur die taktischen und strategischen Dimensionen des Spiels wahrzunehmen und zu genießen. Es sind nicht die Spielstile, die Story und Taktik/Strategie ermöglichen, sondern die Spieler.

Spieler, denen so etwas gelingt, sind auf ihre Weise ganz hervorragende und kompetente Storytelling-spieler. Obwohl, oder gerade weil, sie sich nicht davon beirren lassen, dass Story im Rollenspiel nicht die gleichen Oberflächlichkeiten besitzt, wie in Büchern und Filmen. Weil sie sich sehr bewusst mit dem kleinen Extra auseinandersetzen, dass Rollenspiele besonders macht.

Mittwoch, Juni 03, 2009

Wer darüber reden muss, hat schon verloren

Die vielen Blogs und Foren, in denen über Rollenspiele geredet wird, zeigen, dass Leute gerne zwischen Spielstilen unterscheiden. Manche tun das, um sich mit dem Spiel auseinanderzusetzen und es differenzieren zu können. Andere versuchen so die richtigen Worte zu lernen, um ihre Vorlieben ausdrücken zu können. Um am Tisch sagen zu können: "Ich mag X und wenn du auch X magst, dann lass uns zusammen spielen." All das ist geprägt von dem Wunsch mehr aus den Rollenspielrunden heraus holen zu können, weil man etwaige Inkompatbilitäten von vornherein ausgeschlossen hat. Aber nichts zerlegt die Lust am Rollenspiel schneller als diese Form der Absprache. Wer sich erst hinsetzt und diese Dinge mit Leuten bereden will, der hat das Rollenspiel eigentlich schon aufgegeben.

Rollenspiel ist ein kooperatives Spiel. Aber Kooperation heißt nicht, dass man den Charakter seines Mitspielers nicht aus dem Spiel werfen soll. Es heißt auch nicht, dass man sich danach richtet was der SL gerade von einem braucht, damit das Spiel weitergehen kann.

Rollenspiel ist kooperativ, weil man den Konsens mit den anderen Spielern sucht. Man sucht die gemeinsame Grundlage in der Spielwelt und Spielsituation. Jeder bringt seine eigene Vorstellungskraft, seine eigene Kreativität und sein eigenes ästhetisches Empfinden an den Tisch um zusammen mit den anderen eine Welt zu erschaffen, Charakteren Leben einzuhauchen und sie ins Abenteuer zu schicken.

Der Schlüssel zu einer guten Runde lautet nicht, seine eigene Spielvorlieben in irgendwelche Begriffe zu pressen und sich dann Leute zu suchen, die diese Begriffe auch toll finden.

Der Schlüssel zu einer guten Runde lautet:

Arbeit.

Arbeit an der eigenen Fähigkeit
...sich auf die Ideen anderer Menschen einzulassen.
...nicht nur dem eigenen Maßstab, sondern auch dem der Mitspieler gerecht zu werden.
...Dinge zu bemerken, die nicht ausgesprochen werden.
...seinen Mitspielern zu vertrauen und sich nicht jedes Mal zu wehren und zu verstecken, wenn der eigene Charakter mal Schwäche zeigt.

Aber auch Arbeit während des Spiels. Man muss den anderen Spielern zuhören. Man muss ihre Vorschläge abwägen. Nicht nur danach ob sie realistisch sind, ob sie von den Regeln her stimmen, sondern auch einfach ob sie das Spiel besser machen oder schlechter machen. Festigen sie die gemeinsame Spielgrundlage? Machen sie es attraktiver weiterzuspielen und in die Spielwelt abzutauchen? Machen sie einen heiß darauf zu sehen, was als nächstes passiert?

Diese Fragen sind es, die beantwortet werden müssen. Erzählspiel? Goldene Regel? Sandbox gaming? Herausforderungen? Völlig belanglos! Nebensächlich! Irreführend! Alles das sind Ausprägungen, Techniken und Stile, die man im Nachhinein vielleicht wahrnehmen oder benennen kann. Aber selbst dann sind sie nur von quasi-akademischem Interesse.

Das Rollenspiel zieht seine Dynamik, seine Unvorhersehbarkeit und auch seine Fähigkeit mitzureißen zu großen Teilen daraus, dass alle am Tisch Entscheidungen nach ihrem Bauchgefühl treffen. Danach, was sich richtig "anfühlt" und nicht was richtig benannt wurde. Rollenspiele sind deshalb so aufregend, weil man einen Moment lang glaubt, dass alles passieren kann und die Möglichkeiten endlos sind. Einfach nur weil man eben nicht schon vorher abgesprochen hat in welche Spielstil-Kerbe man schlagen wird. Weil man eben nicht schon im Vorfeld die Parameter festgelegt hat, nach denen man Entscheidungen treffen wird.

Jede Rollenspielrunde muss jedes Mal wieder ihren Stil finden, ihre Techniken wählen, um das Spiel spannend zu halten und ihren Regelumgang bestimmen, damit am Ende ein erinnerungswürdiges und begeisterndes Spielerlebnis entsteht.

Wer hier irgendetwas anderem als seinem Bauchgefühl folgt.... schlimmer noch... wer erst noch sein Bauchgefühl vor dem Spiel benennen und erklären muss, der hat schon verloren.