Beim Kommentieren dieses Eintrags im Apprentice Blog fiel mir auf, dass ich den Begriff Erzählspiel zwar nicht sonderlich mag, aber er sich dennoch in meinen Wortschatz geschlichen hat, wenn ich über Rollenspiele rede. Dabei ist mir die Unterscheidung zwischen erzähllastigen Rollenspielen und Erzähl(rollen)spielen sehr wichtig. Aber um das zu verdeutlichen muss ich ein wenig ausholen.
Es wird kaum jemand daran zweifeln, dass Brettspiele sehr unterschiedliche Spielerlebnisse liefern. Mensch Ärgere Dich Nicht spielt sich anders als Chaos in der Alten Welt und das spielt sich wieder anders als Junta oder Diplomacy. Oberflächliche Gemeinsamkeiten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass man es bestenfalls mit einer sehr weit gefächerten Bandbreite an Spielerlebnissen zu tun hat, die mit dem Begriff Brettspiel kaum ausreichend vermittelt wird. Aber niemand, der sich ein klein wenig damit beschäftigt würde etwa Monopoly und Puerto Rico gleichsetzen. Es gibt deutliche und zum Teil auch grundlegende Unterschiede zwischen den Spielen.
Ich bin der Ansicht, dass das auch auf Rollenspiele zutrifft. Es gibt auch bei Rollenspielen eine große Bandbreite an unterschiedlichen Spielerlebnissen, Spielzielen und Spielstilen. Eins davon ist das Erzählspiel.
Mit diesem Begriff sind all die Rollenspiele gemeint, für die folgendes gilt:
Die Charaktere und die Situationen, die sich während des Spiels ergeben, sind nicht allein deshalb interessant weil man „drin steckt“. Bei D&D (als Beispiel für ein nicht-Erzählspiel) sind die Ereignisse und auch die Kämpfe deshalb von Interesse, weil der Spieler sich vorstellt selbst dabei zu sein. Er ist vor Ort und stellt sich vor das Wirrwarr des Kampfes und das Getümmel selbst zu erleben. Würde man diesen Schritt weglassen, würden die meisten D&D-Runden nur wenig Spaß haben. Sich selbst in die Spielwelt einzufügen ist elementar für den Spielspaß und das wichtigste Element, das einen ans Rollenspiel bindet. Vergleicht man das hingegen mit einem prototypischen Erzählspiel wie Primetime Adventures (PTA), fällt auf dass das immer noch möglich ist; aber nicht mehr zwingend verlangt wird, damit das Spiel funktioniert. Die Spielregeln sind nicht dafür da den Spieler zu belohnen, weiterhin der Charakter zu sein. Hier geht es darum eine Serie und Figuren zu Beginn des Spiels zu entwickeln, die man in so einer TV-Serie sehen will. Es geht nicht darum Figuren zu entwickeln, die man sein will. Daher ist es auch eine weit verbreitete Hausregel bei PTA ein Netz an Figuren zu entwickeln und erst danach auszuwählen, welche man spielt. Es kommt dem Grundgedanken des Erzählspiels nahe, dass die Charaktere nicht stellvertretend für die Spieler in der Spielwelt handeln, sondern mit eigenen Zielen ausgestattet sind, die mit denen des Spielers zusammenfallen können, aber nicht müssen. Was jedoch für ein Erzählspiel unverzichtbar ist, sind Charaktere, die die Spieler interessieren. Was sie interessant macht, das unterscheidet sich natürlich von Spieler zu Spieler. Was auch erklärt weshalb viele Erzählspiele mehr Entscheidungsgewalt bei Setting- und Charaktererschaffung ermöglichen. Ziel ist es den Spielern alle notwendigen Mittel in die Hand zu geben, um Charaktere (und damit auch oft ein bestimmtes Umfeld) zu entwickeln, die sie interessant finden.
Ausserdem müssen Erzählspiele den Spielern Entscheidungen bieten, die nicht allein darauf aufbauen, dass der Spieler triumphieren will. Die interessanten Entscheidungen sind bei D&D vor allem taktischer Art. Selbstverständlich sind sie das nicht ausschließlich, aber das taktische Element innerhalb von Kämpfen und Konflikten ist ohne Frage das Herzstück des Spiels. Die Spieler haben ein bestimmtes Ziel im Auge und setzen die Fähigkeiten ihrer Charaktere möglichst geschickt ein, um genau dieses Ziel zu erreichen. Sei es ein Kampf, eine Verhandlung oder eine politische Intrige. Die Entscheidungen im Erzählspiel hingegen sind darauf ausgelegt die logische und schlüssige Folge dessen zu sein, was bisher passiert ist. Bei PTA würde man entscheiden was die nächste logische Handlung des Charakters wäre, welcher – wie schon erwähnt - nicht identisch zum Spieler sein muss. PTA bedient sich des Zufallselements durch Karten, um die Autonomie des Charakters zu simulieren. Der Spieler bestimmt nicht einfach, wie der Charakter sich in einem wichtigen Moment entscheidet, sondern muss die Karten als Ausgangspunkt nehmen, um diese Entscheidungen zu treffen. In vielen Erzählspielen (und auch bei PTA) kommt noch hinzu, dass die Spieler Einfluss darauf haben in was für Situationen sie die Charaktere bringen. Auch hier geht es darum das Spiel für alle Beteiligten interessant zu halten, indem die Charaktere mit den Dingen konfrontiert werden, die die Spieler interessant oder ansprechend finden. Wobei das Interesse nicht immer freudig sein muss. Oft ist es auch unterhaltsam die Charaktere in missliche Situationen zu bringen, um als Spieler zu überlegen wie der Charakter dort handeln würde.
Beschreibungen (worunter ich auch das Ausspielen des Charakters verstehe) haben im Erzählspiel einen hohen Stellenwert. Sie sind die Grundbausteine des Erzählspiels. Man kann es mit dem Bewegen einer Spielfigur beim Schach vergleichen. Beschreiben ist nicht die Quelle des Spielinteresses (genau so wenig, wie es das Figurenschieben beim Schach ist), aber das was man tun muss, um das Spiel zu spielen. Daher müssen Beschreibungen sorgfältig und mit Bedacht gewählt werden. Man vergleiche nur, wie sehr der Spielspaß bei D&D darunter leiden würde, wenn Spieler beliebig und ohne zu überlegen entscheiden was ihr Charakter im Kampf tut. Ebenso leidet ein Erzählspiel darunter wenn Beschreibungen so behandelt werden.
Hier würde ich auch eine klare Grenze zu erzähllastigem Spiel ziehen. Beschreibungen sind in beiden Fällen sehr präsent und können mit viel Sorgfalt gewählt werden. Aber beim erzähllastigen Spiel dienen sie dazu eine abstrakte Regelanwendung zu verkleiden. D&D4 ist da ein gutes Beispiel. Die Anwendung einer Power zieht im Normalfall eine Beschreibung nach sich. Dadurch wird ein abstrakter Regelmechanismus organisch ins Spiel eingebunden und die Interaktion lebendiger gemacht. Eine andere Aufgabe hat die Beschreibung jedoch nicht. Wer mag kann sich natürlich an ihr selbst erfreuen, aber der Fortgang des Spiels wird dadurch bestimmt, welche Regelmechanismen greifen und nicht welche Beschreibungen die Spieler einbringen. Je abstrakter und allgemeiner die Regeln dabei sind, desto erzähllastiger kann das Spiel werden. Daher erfreuen sich gerade regelarme Rollenspiele bei Leuten großer Beliebtheit, die gerne erzähllastig spielen. Das organische Einbinden der Regeln, die den Spielfortgang beeinflussen, verlangt es von den Spielern mehr zu beschreiben. So entsteht schnell der Eindruck, dass regelarme Rollenspiele mehr Rollenspiel (d.h. Ausspielen der Figur) erfordern, als es regelintensive Rollenspiele tun.
Beim Erzählspiel hingegen geht es nicht um diesen spielerischen Mehrwert durch das Beschreiben. Die Beschreibung selbst ist bereits der Spielakt und der Beitrag, den man zum Spielerlebnis leistet. Dadurch wird das Spiel vorangetrieben und darauf baut auch jeder weitere Spielzug auf.
Offensichtlich gibt es Regelwerke, die einzelne Aspekte des Erzählspiels gut unterstützen (z.B. Pendragons Passions) und ebenso offensichtlich trägt das Verhaltenden der Spielenden ebenfalls viel dazu bei, ob man nun eher Erzählspiel, erzähllastiges Rollenspiel oder irgendwie anders Rollenspiel spielt. Das Regelwerk kann da lediglich Hilfsmittel stellen. Auch muss man keine Worte darüber verlieren, dass sich so eine Spielausrichung im Laufe einer Kampagne oder auch eines Abends wandeln kann. Das setze ich schlicht als gegeben voraus.
Die Unterscheidung, die ich hier zwischen Erzählspiel und erzähllastigem Spiel sehe, wird durch diesen Eintrage hoffentlich deutlicher. Das erzähllastige Spiel stellt die Beschreibungen unter die spielrelevante Interaktion und bereichert diese. Während das Erzählspiel in der Beschreibung bereits eine spielrelevante Interaktion versteht.
Mittwoch, September 29, 2010
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3 Kommentare:
Hui, ganz ohne Rant. ;-)
Kann Deiner Erörterung so zustimmen. Die größte Frage zur Untersheidung ist sicherlich, was vom Spieler (durch das Spiel als Gesamtheit, nicht nur das System) gefordert wird und was der erhoffte Nutzen daraus ist.
In Deinem Besipiel "Taktik rein / Identifikation raus" bzw "Konflikte rein / Dramaturgie raus".
Ich kann mich nicht so ganz mit der Idee anfreunden bei Spielstilen einfache Gegensätze zu nutzen, um etwas zu beschreiben. Dafür scheinen mir Rollenspiele prinzipiell zu unstetig und dynamisch zu sein.
Taktik rein / Identifikation raus liesse sich vielleicht irgendwie auf das Erzählspiel anwenden, aber so wirklich treffend würde ich es nicht nennen. Auch den Gegensatz Konflikt/Dramaturgie will ich nicht so unterschreiben.
Ich denke für so einige Rollenspieler, ist das "sich hinein versetzen" nicht nur essentieller Bestandteil des Rollenspiels, sondern wird auch oft als Gesamtheit des Rollenspiels verstanden. Solche Leute haben es meiner Erfahrung nach immer etwas Erzählrollenspiele nachzuvollziehen. (Und neigen generell zur pauschalen Ablehnung.)
Ich denke um Erzählspiele zu verstehen, muss man sowohl akzeptieren, dass das "sich hinein versetzen" nur ein Stilmittel im Erzählspiel ist und stattdessen das Beschreiben (und damit auch das Weiterspinnen der Ereignisse) das Fundament des Spiels darstellt.
Was man vorher beim Rollenspiel vielleicht für notwendig gehalten hat, ist plötzlich optional. Und das ansonsten Optionale hat im Erzählspiel vielleicht eine tragendere Funktion.
Von Gegensätzen hatte ich nicht gesprochen. Damit hast Du jetzt angefangen.
Und es stimmt, dass mein Beispiel nicht 100% treffend ist, wollte nur ein Beispiel für meinen Gedankengang geben. Aber das wird sich ohnehin auch von Spielgruppe zu Spielgruppe unterscheiden. Ich meine etwa zu wissen, dass wir beide Erzählspiele sehr unterschiedlich spielen.
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