Es gibt Situationen, die treten bei so ziemlich jedem Spiel früher oder später auf. Irgendeine Regel führt dazu, dass man nicht das machen kann, was man vor hatte oder der Gebrauch einer bestimmten Regel hat zur Folge, dass man weit weniger Einfluss auf den Fortgang des Spiels hat, als man sich wünscht. Insbesondere bei Spielen, die stark auf Würfeln aufbauen, ergibt sich dieses „Würfel mal, ob das was du tust vollkommen wertlos ist“-Problem. Das sorgt für Frust. Sei es bei Spielen wie Doom: The Boardgame, bei Warhammer FRP oder (wie ich vor kurzem am eigenen Leib feststellen musste) bei Dungeons & Dragons 4E.
Wie nun mit solch einer Frustquelle umgehen? Die einfachste, aber auch radikalste Vorgehensweise wäre natürlich das Spiel einfach nicht mehr zu spielen. Sobald man jedoch den Kindergarten hinter sich gelassen hat, ist diese schmollende Spielverweigerung weder süss noch effektiv. Denn ausser nicht zu spielen, verändert sich nichts.
Bei Brettspielen werden solche Situationen mit Hausregeln behandelt. Die Zahl der Spiele, die sich Familien oder Freunde zurecht geschnitzt haben ist endlos. Gerade Spiele wie Zombies!!!, Fluxx oder Battle of the Bands eignen sich für solche Unterfangen perfekt und können so sehr viel Spaß bieten. (Wem diese Spiele nichts sagen der kann auch Monopoly, Scrabble oder Stadt, Land, Fluß dafür einsetzen.) Diese Vorgehensweise ist bei Brett- und Kartenspielen bewährt, aber lässt sie sich auch problemlos auf Rollenspiele übertragen?
Eine der Besonderheiten des Rollenspiel und in manchen Fällen sogar ein essentieller Bestandteil des Spiels, besteht darin, dass man die Spielsituation (bzw. die Fiktion) verändern und beeinflussen kann, bevor man die im Buch niedergeschriebenen Regeln darauf anwendet. Bei WFRP etwa ist es ein offenes Geheimnis, dass Charaktere zu Beginn des Spiels herzlich wenig Chancen haben in einem Zweikampf als Sieger hervor zu gehen. Die Chancen für einen solchen Charakter beim Gegner einen Treffer zu landen, sind oft sehr schlecht. Eine der ersten und wichtigsten Lektionen, die man bei WFRP lernt, ist sich niemals auf einen fairen Kampf einzulassen. Man sollte jede noch so kleine Chance nutzen, um sich in einem Kampf einen Vorteil zu verschaffen. In der Old World gilt, dass drei gegen einen nur unfair ist, wenn man alleine ist. Kein Trick ist zu dreckig, keine Aktion zu feige. Am Ende zählt immer nur, dass man nicht der Tropf ist, der am falschen Ende eines Krummsäbels hängt. Es hängt am Einfallsreichtum der Spieler, wie sie sich in jeder Situation verhalten um einen Vorteil für sich herauszukitzeln. Es ist diese Art der kreativen Auseinandersetzung mit der Spielsituation, die das Kernelement aller „traditionellen“ oder besser gesagt „old school“ Rollenspiele darstellt.
Jedoch ist genau das eine Herausforderung, die oft Gefahr läuft unbemerkt entwertet zu werden, wenn der SL freigiebig zu Hausregeln greift. Der vollkommen vernünftige und begrüssenswerte Versuch ein Spiel frustfrei zu machen, kann schnell darin enden, dass es keine Notwendigkeit mehr für die Spieler gibt sich mit der Spielwelt auseinander zu setzen. Anstatt das man versucht sich durch das Verhalten des Charakters Vorteile in Konflikten zu sichern, werden kurzerhand die Spielregeln umgeschrieben. Man umgeht die Spielwelt und verlässt sich auf die "auf Erfolg hin geschriebenen" Hausregeln. Gerade da das so einfach und schnell geht, verlockt es mal eben das Spiel mit einer "Hausregelung" weiterzutreiben, statt es seinen manchmal störrigen Weg gehen zu lassen. Anstatt dass die Spieler nach Wegen suchen, wie sie die Trefferwahrscheinlichkeit ihrer „Power“ steigern könnten, fällt man auf Hausregeln zurück, die das für einen erledigen.
Aber ein gutes Rollenspiel basiert nicht auf ad-hoc Regeln des Spielleiters, sondern auf die unparteiische Beurteilung durch den SL, welcher die bereits bestehenden Regeln anwendet. Ein Richter schreibt schließlich auch nicht mit jedem Urteil ein neues Gesetz; sondern muss gemäß der geltenden Gesetzen und nach eigenem Gewissen eine Entscheidung fällen, die für das Gemeinwohl am Besten ist. Der SL ist in dieser Hinsicht in einer identischen Position. Er spricht Urteile, aber sollte wenn möglich keine Gesetze schreiben. Goldene Regel hin oder her.
Hausregeln sind die Notbremse, die man erst im letzten Moment ziehen sollte. Sie sind nicht der Normalfall um zu einem guten Rollenspiel zu führen, sondern können schnell die Krücke für eine einfallslose und Brettspiel-belastete Spielergruppe werden.
Sonntag, Juli 06, 2008
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3 Kommentare:
Ist das nicht genau das, was 3.x und noch mehr 4E vorgeworfen wurde? Dass es nicht mehr darauf ankommt mit der Situation mitzudenken, weil man jede Situation auch einfach so durch Regelanwendung überwalzen kann ohne zwei Mal außerhalb der Regeln nachdenken zu müssen?
Warum ist es in einem Fall gut wenn die Spielregeln durch die offiziellen Designer zu einer "Krücke für eine einfallslose und Brettspiel-belastete Spielergruppe" werden (s. Encount4rdist4-Vorwürfe), und im anderem Fall schlecht wenn solche Effekte durch einen SL zustande kommen?
Bevor man eine Hausregel in ein Rollenspiel aufnimmt sollte man sich über zwei Sachen im Klaren sein. Erstens ist das wahrgenommene Problem wirklich Spielspass verhindernd oder suche ich (wie beschrieben) nach einem billigen Weg aus einer unbequemen Lage? Zweitens sollte man kurz darüber nachdenken, welchen Aspekt des Spiels ich gerade mit einer Hausregel beeinflusse: ist es ein zentraler Aspekt (z.B. Trefferchancen bei D&D) oder ist es ein periphärer Aspekt (z.B. Jagdregeln bei Vampire) oder ist es so genannter "Fluff" (z.B. bei Houses of the Blooded die Hautfarbe der Menschen). Man kann hier keinen allgemeinen Ratschlag erteilen, aber auf diesen beiden Achsen: Spielspass vs. persönlicher Vorteil und zentraler vs. periphärer Aspekt kann man dann besser beurteilen, ob die Hausregel einen zu großen Eingriff in das Regelgefüge darstellt.
Für mich gibt es bei Hausregeln auch noch einen dritten Prüfstein: muss ich auf jeden Fall eine Hausregel für einen zentralen Aspekt des Spiels einführen, damit das Rollenspiel spielbar wird? Dann bleibt es im Regal, da es fundamental beschädigt ist (z.B. Erfahrungspunkte bei Midgard).
Abschließend: Deine Argumentation mit den Richtern und Gesetzen funktioniert nur in Ländern mit "Roman Law". In Ländern mit "Common Law" funzt das Argument überhaupt nicht...
Skyrock schrieb:
"Dass es nicht mehr darauf ankommt mit der Situation mitzudenken, weil man jede Situation auch einfach so durch Regelanwendung überwalzen kann ohne zwei Mal außerhalb der Regeln nachdenken zu müssen?"
Erstmal kommt es immer darauf an mit der Situation mitzudenken. Das muss einfach unangezweifelt gültig sein, wenn man von Rollenspielen spricht. Wenn die Spieler nicht mitdenken, spielen sie kein Rollenspiel.
3.x und 4E versuchen diese grundlegende Herangehensweise unterschiedlich umzusetzen. 3.x sucht durch Regelvarianz und konkretem Situationsbezug die Spieler hineinzuziehen. Für manche wird das Mitdenken dadurch einfacher, weil der Regelgebrauch bzw. Regelwahl und "Mitdenken" der gleiche Schritt ist. Für andere wird das schwieriger, weil das Mitdenken getrennt vom Regelgebrauch nur noch schwer möglich ist. Deshalb wird 3.x gehässigerweise "Tabletop spielen" genannt.
4E hingegen kommt von der anderen Seite heran. Hier wird vorausgesetzt, dass die Spieler mit der Situation mitdenken. Die Regelwahl ist ein Schritt, der getrennt vom "Mitdenken" stattfindet und idealerweise davon eingerahmt wird. Vorher mitgedacht; dann die Regel gewählt und angewandt; danach bei der Auswirkung der Regel mitgedacht/interpretiert. Wenn man gerne getrennt vom Regelgebrauch mitdenkt, dann ist das sehr einladend. Wenn man aber gerne durch den Gebrauch der Regeln die Vorstellung der Situation formen will, ist man hier ziemlich allein gelassen.
"Warum ist es in einem Fall gut wenn die Spielregeln durch die offiziellen Designer zu einer "Krücke für eine einfallslose und Brettspiel-belastete Spielergruppe" werden (s. Encount4rdist4-Vorwürfe), und im anderem Fall schlecht wenn solche Effekte durch einen SL zustande kommen?"
Bei 3.x lenkt der Regelgebrauch auch die Vorstellung und das Mitdenken. Bei 4E lenkt das Mitdenken und die Vorstellung den Regelgebrauch. Die Unterschiede in der Kritik erklären sich einfach dadurch, dass man jeweils andere Vorstellungen von einem Standardspieler hat.
Am Rande: Ich möchte dich bitten diese lächerlichen encountardisation-Formulierungen zu lassen. Da steckt ein ganzer Schwall an Polemik, Borniertheit und Heuchlerei drin, die ich nicht einmal mit der Mistgabel anrühren wollen würde.
Carabas schrieb:
Deine Argumentation mit den Richtern und Gesetzen funktioniert nur in Ländern mit "Roman Law". In Ländern mit "Common Law" funzt das Argument überhaupt nicht...
Das stimmt natürlich. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand, der hier mitliest, damit in Verständnisprobleme geraten ist. Würde ich das hier z.B. für ein US-amerikanisches Publikum schreiben, dann hätte ich mit Sicherheit einen anderen Vergleich gewählt. ;)
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