Freitag, Mai 02, 2008

Anspruchsvolles Rollenspiel

Es gibt einige Begriffe, deren Missbrauch unter Rollenspielern nahezu kriminelle Ausmaße genommen hat. Begriffe wie Railroading, Realismus, Theorie oder auch "anspruchsvolles Rollenspiel" werden unter Rollenspielern meist ohne nachzudenken in ein Gespräch geworfen und werden früher oder später zu wertlosen Worthülsen die alles, nichts, oder (!) bedeuten.

Das ist schade. Denn es gibt anspruchsvolles Rollenspiel und es macht Sinn diesen Begriff mit Inhalt zu füllen, der in Rollenspielkreisen auch etwas aussagt. Zur Zeit ist "anspruchsvolles Rollenspiel" nämlich inhaltsleer und nutzlos. Das liegt vor allem daran, dass sich keiner deutlich macht, was Anspruch im Rollenspiel eigentlich bedeutet.

Anspruchsvoll bedeutet fordernd. Ein Rollenspiel, das anspruchsvoll ist, ist ein Rollenspiel, dass den Spieler fordert.

Anspruch ist nicht Humorlosigkeit. Auch wenn jeder kleingeistige Schwätzer sich nicht vorstellen kann Lachen mit Anspruch zu verbinden.

Anspruchsvoll heißt nicht, dass man sich wichtig nimmt; wie es etwa Neider gernen denen vorwerfen, die sich mit weniger nicht abgeben wollen.

Anspruch bedeutet auch nicht, dass eine Runde Unwohlsein hervorrufen und die Spieler verstören muss. Wer das für Anspruch hält, legt nur seine eigene Niveaulosigkeit offen.

Vor allem aber ist Anspruch nicht gleichbedeutend mit Qualität; eine derart elitäre Einstellung greift leider stark um sich und kann einem so manche Spielrunde vermiesen.

Anspruch in einem Rollenspiel drückt sich allein dadurch aus, dass man etwas leisten muss um etwas zu bekommen. Bei Büchern muss man sich mit der Sprache und der Erzählart auseinandersetzen und etwas Arbeit bzw. Hirnschmalz investieren, um etwas von dem Buch zu haben.

Das ist beim Rollenspiel nicht anders. Nur dass man sich hier mit den Dingen auseinandersetzen muss bzw. in die Dinge Arbeit und Hirnschmalz investiert, die das Rollenspiel ausmachen. Anspruch hängt allein davon ab, wie viel Aufwand der Spieler investieren muss, um das Spiel zu spielen. Wobei Aufwand nicht gleich unfreiwillige Arbeit heißen muss. Es kann auch sehr viel Spaß machen sich in einem Spiel anzustrengen. Leistung macht Spaß!

Anspruchsvolles Rollenspiel ist der Gegenpol zum casual Rollenspiel. Anspruchsvolles Rollenspiel unterscheidet zwischen den Leuten, die zum Zeitvertreib spielen und denen die spielen, um Spaß zu haben und dafür was tun wollen.

Dass man unterschiedliche Dinge betonen kann und damit unterschiedliche Aspekte des Spiels Anforderungen an den Spieler stellen, sollte niemanden überraschen. So wird auch deutlich, dass ein anspruchsvolles Rollenspiel viele Ausprägungen haben kann. Eine sehr taktische und Konflikt-basierte Spielrunde könnte genauso als anspruchsvoll beschrieben werden, wie eine Spielrunde in der die Spieler eine sehr intensive Atmosphäre aufbauen oder es um Charaktere geht mit denen man stark mitfiebert, usw. usf.

Anspruchsvolles Rollenspiel ist (arbeits-)intensives Rollenspiel. Das wird in vielen Runden betrieben und so lässt sich auch wieder darüber reden.

7 Kommentare:

oliof hat gesagt…

Dabei ist es recht einfach, anspruchsvolles Rollenspiel zu definieren.

Meinem Sprachverständnis nach ist Rollenspiel dann anspruchsvoll, wenn es mich anspricht – ich mich damit gerne beschäfigen will, und ist qualitativ bemerkenswert, wenn das dann auch noch gut gelingt.

So banal diese Definition klingen mag, legt sie doch offen, dass es sich bei Anspruch um etwas höchst subjektives handelt.

In einem Gespräch beim Abendessen brachte ein Kollge von mir kürzlich den Spruch "There is no art, only artists". Ohne jetzt Rollenspiel mit Kunst gleichsetzen zu wollen, kann man genau in dieser Linie sagen, dass es nur anspruchsvolle Runden gibt, kein anspruchsvolles Rollenspiel.

Anonym hat gesagt…

Anspruch ist nicht Humorlosigkeit. Auch wenn jeder kleingeistige Schwätzer sich nicht vorstellen kann Lachen mit Anspruch zu verbinden.
Danke, jetzt erinnere mich wieder an die übelste Runde in der ich je saß. Was mich zum häßlichen Verwandten dieser Regelung bringt:

Anspruch ist nicht, wenn man jeden Kontakt mit der Metaebene und mit der Regelebene unterbindet.

Ansonsten war ich nie der Ansicht anspruchsvolles Rollenspiel zu betreiben, aber wenn man "anspruchsvoll = man muss was leisten" definiert, dann betreibe ich es wohl doch.
Andererseits ist dann jedes Rollenspiel durch seine interaktive Natur anspruchsvoll. Selbst bei den eisenbahnigsten Berieselungsabenteuern müssen die Spieler noch selbst aktiv werden um mit dem Szenario zu interagieren und ihre Charaktere darzustellen, anders als etwa Fernsehen bei dem man auch schlafen könnte.

Georgios hat gesagt…

@Harald

Anspruchsvoll und ansprechend mögen sich den Wortstamm teilen, aber bezeichnen doch Unterschiedliches. Und dass es hier um subjektive, d.h. relative Begriffe geht, sollte man als gegeben voraussetzen. Für manche ist Matrix ein anspruchsvoller Sci-Fi Streifen und für andere nur Actionkino mit wahllos eingestreuten Intellektuellen-Verweisen.

Das entwertet den Begriff meiner Meinung nach aber nicht.

@Skyrock

Ich denke jeder "casual gamer" und "Berieselungsrollenspieler" leistet nur das notwendige Mindestmaß um am Spiel teilzunehmen aber nichts darüber hinaus. Irgendwas tun heißt noch nicht anspruchsvoll Rollenspiele zu spielen. Aber das Rollenspiele mehr von Spielern fordern, als etwa ein DVD-Abend oder bestimmte Videospiele, das ist ja klar. So gesehen sind Rollenspiele im Vergleich zu manchen anderen Hobbies immer anspruchsvoller.

Aber "anspruchsvoll" im Rahmen des Rollenspielen selbst, kann man wie ich denke doch vom "casual gaming" (und auch das, was sich dafür ausgibt) abgrenzen. Eine auf 100% powergaming ausgelegte D&D-Runde ist ohne Frage anspruchsvoller als eine Handwedel-vom-Erzählonkel-Spielrunde in der sich der SL um alles kümmert und die Spieler nur Stichworte geben.

Umgekehrt ist eine D&D-Runde in der jeder Spieler auf schlüssiges Charkterspiel, wohlgefeilte Dialoge und vielschichtige Interaktionen setzt um einiges anspruchsvoller als eine beer&pretzel-Runde in der niemand darauf achtet warum eigentlich der Ork-schmane mit dem Vampir und dem Einhorn gemeinsam gegen die Paladine antreten und man vor allem wegen der Würfel (und der Cheetos) mitspielt.

Man beachte bitte, dass Anspruch nicht zwingend mit Qualität bzw. Spaß zusammenhängen muss.

Anonym hat gesagt…

Also Anspruch als Kontinuum statt als binäre J/N-Frage? Klingt sinnvoller.

Anonym hat gesagt…

Ich denke, Anspruch wird sehr häufig als Atmosphäre im Spiel definiert, die möglichst wenig gebrochen wird. Also konzentriertes Rollenspiel, bei dem SpielleiterInnen und SpielerInnen sich nicht ablenken lassen, sondern ihre Charaktere verkörpern und die Charakterebene selten verlassen.

Persönlich finde ich das nicht anspruchsvoll, sondern anstrengend. Für mich als Spieler und eSeL ist v.a. wichtig, dass die Mitspieler Spass am Spiel haben. Wenn am Tisch gelacht wird und Spannung aufkommt, kurz die SpielerInnen beste Unterhaltung genießen reicht das vollkommen. Es muss nicht alles bierernst und "anspruchsvoll" sein. Immerhin ist Rollenspielen ein Hobby!

Anonym hat gesagt…

Ich vermisse die Unterscheidung zwischen anspruchsvollem Spielen und anspruchsvollem System.

Und: Du definierst mMn: "Anspruchsvolles Rollenspiel" ist, wenn es zu positivem Streß führt. (Also über Leistung und Spaß.) Ist das alles?

Georgios hat gesagt…

@athair
Diese Unterscheidung habe ich in der Tat nicht getroffen. Es ging mir darum den negativen Konnotationen des Begriffs "anspruchsvoll" etwas entgegenzusetzen.

Ich ziehe es aber vor eher von "Anspruch" u.ä. zu reden, statt von "positivem Stress". Letzteres weckt zu viele negative Erinnerungen und Anspruch ist nichts was man meiden oder rechtfertigen muss. Das ist in der Tat alles, was ich sage. Aber leider ist das gar nicht so wenig.

@carabas
Das ist halt die Crux mit dem Anspruch (so wie ich ihn hier verwende). Des einen spaßbringende Herausforderung ist des anderen unnötige Belastung. Mir geht es mit komplexen Regeln, die es effizient zu kombinieren gilt, genau so. Ich weiß, dass viele Leute daran Spaß haben, aber meine Begeisterung wird dadurch schnell ausgebremst.

Das wäre alles kein Problem, wenn es nicht dieses unangenehme und abstoßende Gehabe von einigen Leuten gäbe, die Atmosphäre/taktische Tiefe/Settingnähe/etc. als höchste, edelste und einzig wahre Eigenschaft des Spiels zu sehen. Es ist dieser Einstellung zu verdanken, dass man Anspruch im Rollenspiel nur nach als "unanständiges Wort" kennt.