Mittwoch, September 12, 2007

Er statt Ich

Viele Rollenspieler erzählen aus der Ich-Perspektive, wenn sie ihre Figuren handeln lassen. "Ich trete die Tür auf. Ich greife den Räuber an. Ich feilsche mit den Verkäufer". Wenn der Charakter sich unterhält, so wählt der Spieler dessen exakten Worte und trägt sie schauspielerisch vor. Eine solche Vorgehensweise ist weit verbreitet und hat ihre Stärken, die man nicht weiter erklären muss.

Stattdessen will ich die Erzählung aus der dritten Person näher betrachten, die von manchen Spielern leider vorschnell zur Seite geschoben wird. Eröffnet eine solche Sprechweise doch Möglichkeiten, die einem die reine Ich-Erzählung nicht bieten kann.

Die Figur ist nicht mehr gezwungen so wortgewandt und charismatisch wie ihr Spieler zu sein.

Einer der klassischen Charaktertypen im Rollenspiel ist der charmante Frauenheld. Oder der Typ der immer weiß wie er mit anderen zu reden hat, um zu erreichen was er will. Am Spieltisch selbst fällt einem nicht immer der richtige Satz zur richtigen Zeit ein. Vielleicht fehlt einem auch die Menschenkenntnis um Andere sofort zu durchschauen und ihre Schwächen zu entdecken. Auch wenn beim Rollenspiel das Problem eher darin liegt, das man von keinem SL erwarten kann, dass er jedem NSC eine vollständig ausgearbeitete Persönlichkeit gibt und diese dann so exakt spielt, dass der Spieler daran seine Argumentationstaktik entwerfen kann. So lange die Figur weiß wie sie mit der richtigen Mischung aus Freundlichkeit, Überzeugung und Rhetorik den NSC auf seine Seite holen kann, sollte das reichen. Die Absichten und Versuche der Figur lassen sich elegant und für alle verständlich in Worte fassen, wenn der Spieler zum 'Er' greift, statt zu versuchen auf eigene Faust die richtigen Worte aus dem Hut zu zaubern.

Das Hintergrundwissen der Figur muss nicht mehr vom Spieler imitiert oder angedeutet werden.

Die meisten Rollenspielcharaktere kennen sich mit Themen aus und Wissen von Dingen, die die typische Person im 21. Jahrhundert meist nur vom Namen her kennt. Wenn sie überhaupt schon mal davon gehört hat. Themen wie Wappenkunde oder Alchemie sind nichts womit sich die meisten Leute heutzutage beschäftigen. Mit fundiertem Wissen in fiktiven Gebieten wie Hobbit-Genealogie, Kenntnis der Dinge, die die Menschheit nicht wissen sollte oder Warptechnik, kann der normale Mensch eh nicht dienen. Diese Wissensdiskrepanz wird von manchen behoben indem sie unzählige Hintergrundtexte verschlingen. In der Regel haben die meisten Leute weder Zeit, Geld noch Lust auf so etwas. Diese Details einfach so zu erfinden kann ein Problem werden, wenn sich daraus Widersprüche in der Spielwelt ergeben oder die erfundenen Ideen zunehmend alberner und hanebüchener werden.

Der Schritt zum 'Er' kann auch hier helfen, diese Unterschiede zu umgehen und sowohl den Spielfluß als auch die Integrität der Figur und der Spielwelt aufrecht zu erhalten.

Was die Figur tut, ist nicht mehr an das gebunden was der Spieler tun würde.

Dieser Punkt ist vor allem dann interessant, wenn man beim Spiel gerne ein Auge darauf wirft, wie sich die Geschichte im Spiel entwickelt. Wenn sich der Charakter der Figur von dem des Spielers lösen kann, d.h. wenn der Charakter etwa sehr viel naiver, vertrauensseliger oder ernster als der Spieler ist, so können daraus Geschichten entstehen, deren Entwicklung äußerst überraschend sind ohne dabei willkürlich zu werden. Hat man sich erst einmal den Charakter der Figur zurechtgelegt, so hilft die Erzählung in der dritten Person dabei, die Trennung zwischen wie man selbst entscheiden würde und wie ein Charakter wie die eigene Figur es tun würde. (Am Rande: diese Trennung ist vergleichbar mit der Trennung, die ein SL aufrecht erhalten muss, um nicht in die Versuchung zu geraten Railroading zu betreiben.)

Die Ziele und Absichten einer Figur lassen sich schneller und präziser beschreiben.

Es kann sehr frustrierend sein, wenn ein Spieler sich weigert die schauspielerische Darstellung des Charakters zu verlassen, aber dabei komplexe Situationen, abstrakte Sinnzusammenhänge oder schwierige Gefühlszustände zu beschreiben versucht. Es führt häufig zu sehr langen Dialogszenen, die schon bald redundant und banal wirken. Das kann schnell den guten Eindruck der Runde stören oder das ansonsten flüssige Spiel zum Stillstand bringen. Auch hier bietet es sich an durch einen einfachen Wechsel der Erzählperspektive die Umstände – insbesondere was das Innenleben des Charakters angeht – klar und exakt wiederzugeben. Ein wohl dosiertes: „er ist hin und her gerissen.“ ist mehr wert als gestammeltes Wortefeilen, dass früher oder später immer in der Belanglosigkeit endet.

All das sind Gründe weshalb man die Erzählung aus der dritten Person nicht sofort aus seiner Spielrunde ausschließen sollte. Wer sich überhaupt nicht von der Ich-Perspektive lösen kann, der kann auch versuchen sich immer wieder diese distanzierte Beschreibung ins Gedächtnis zu rufen und nur in den wichtigsten Momenten zu Wort-für-Wort formulierten Dialogen zu greifen.

Wer sich die Mühe macht in den richtigen Momenten etwas Distanz zwischen sich und seiner Figur zu setzen, wird mit einem flüssigen und zielgerichtetem Spielablauf belohnt.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Zwei Dinge:

1. Man kann Handlungen auch aus dem Ich heraus indirekt beschreiben. Das mache ich persönlich sehr gerne. Um dein letztes Beispiel aufzugreifen: Ein paar(!) gestammelte Worte und ein nachgeschobenes (oder vorgestelltes) "Ich bin hin- und hergerissen" verbindet die Vorteile von der Ich-Perspektive und der präzisen Beschreibung.

2. Dass aus der Ich-Perspektive heraus die Figur an das gebunden ist, was ich als Spieler tun würde, halte ich für Unsinn (also das, was du im dritten Punkt mit der dritten Person vermeiden willst). Ich kenne niemanden, der ein Problem damit hat, etwas anderes zu beschreiben, als er selber tun würde -- auch aus der Ich-Perspektive heraus.

Georgios hat gesagt…

zu 1.
Vereinbar sind diese zwei sicherlich. Ich hielt es nur für einfacher über die unterschiedliche Distanz zur Figur an Hand der Beschreibung zu sprechen. Letztendlich ist die Wahl des Pronomen bestenfalls ein Indiz für die Distanz zwischen Spieler und Figur. Aber man kann sich das vielleicht so besser deutlich machen, dass es dem Rollenspiel nicht immer dienlich sich ganz und gar in die Welt der Figur hineinzufühlen.

zu 2.
Es geht hier darum die Distanz zur Figur finden, um sie so zu spielen, dass man ihr auch ambivalent oder ablehnend gegenüber stehen kann. Solange die Figur noch als Erweiterung der eigenen Person verstanden wird - was beim Gebrauch der Ich-Erzählung unvermeidbar mitschwingt - ist man als Spieler in seinen Entscheidungen ein wenig befangen.

Oder machst du dir beim Spielen nie Gedanken, wie das was du als dein Charakter tust auf die anderen Spieler wirkt?

Anonym hat gesagt…

Doch, ich sehe da aber keinen Unterschied, ob ich das aus der dritten oder der ersten Person beschreiben.