Spielerfreiheit macht kein gutes Rollenspiel aus. Es ist wahr. Wirklich. Es ist sogar so, dass Spielerfreiheit eine Idee ist, die den Diskurs zum Rollenspiel stört und verzerrt.
Das wird deutlich, wenn man genau betrachtet, wofür dieser Begriff eingesetzt wird und inwiefern er mit sorgfältigem Spieldesign vereinbar ist. Mit "Spielerfreiheit" wird in der Regel die Masse an Möglichkeiten bezeichnet mit der die Spieler das Spiel beeinflussen können. Vor allem gilt hier die Maxime: je weniger Einschränkungen es für den Spieler gibt, desto höher ist die "Spielerfreiheit". Folgt man diesem Konzept zu seinem logischen Ende: das vollkommen uneingeschränkte Spieler die größte Freiheit im Spiel geniessen und damit dann die höchste Spielequalität hätten, werden die Fehler in dem Ansatz deutlich.
Wenn die Entscheidungen der Spieler in keinster Weise eingeschränkt werden, so folgt daraus, dass sie auch keinen Vorgaben anderer Spieler oder des SLs folgen müssen. Jede Vorgabe ist auch eine Einschränkung. Es muss also jede Handlung der Spieler, vollkommen unabhängig von den Handlungen der anderen am Tisch, als spielrelevant gelten können. Das es sich hierbei nicht um ein unerreichbares Ideal handelt, das es wert ist angestrebt zu werden, sollte offensichtlich sein. Aber das ist lediglich ein Extremfall.
In einer normalen, funktionierenden Spielrunde existieren Einschränkungen auf verschiedenen Ebenen. Sowohl die Regeln des Spiels, die Situationsvorgabe durch den SL oder durch andere Spieler in weniger klassischen Spielen, als auch die bereits erspielten Szenen und die damit etablierten Eigenschaften des gemeinsam Vorgestellten Spiels schränken die Entscheidungsfreiheit des Spielers ein. So kann man bei Paranoia nicht plötzlich einen Pool von 20-seitigen Würfeln benutzen und bei jedem Wurf den jeweils höchsten entnehmen. Die Regeln schränken die Spieler dabei ein, wie sie Spielhandlungen auflösen wollen. Auch kann man als Spieler nicht einfach Spielhandlungen ansagen, die den Vorgaben durch die anderen Spieler direkt widersprechen. Man kann bei Warhammer seine Figur nicht Essen kaufen lassen, wenn der SL die Gruppe in eine verdorrte und vollkommen vereinsamte Landschaft setzt. Dem gleichen Prinzip folgend, kann man auch bei einem Spiel wie Primetime Adventures nicht plötzlich die erspielten Ereignisse vorheriger Szenen ignorieren oder ihnen ohne Erklärung widersprechen. Wenn in einer vorherigen Szene davon gehandelt hat, wie ein Charakter seine Selbstkontrolle verloren hat und einen anderen verprügelte, so kann man in der anschliessenden Szene nicht so tun, als wäre das Gegenteil passiert. Zumindest nicht ohne filmerzählerische Tricks zu benutzen. Diese Einschränkungen müssen vorhanden sein, damit das Spiel den Grundzügen eines Rollenspiels entspricht. Wer Regeln, Situationsvorgaben und der "Geschichte des Spiels" keine Beachtung schenkt, spielt nicht mehr, sondern quatscht nur.
Diese Einschränkungen können jedoch womöglich verschieden stark, bzw. eng sein. Könnte man nicht von relativer Spielerfreiheit sprechen, wenn man diese verschieden setzt? Eigentlich nicht. Die Regeln müssen als oberste Instanz einer Spielrunde stehen, deshalb sind sie da. Die Einschränkungen, die durch die Regeln entstehen, bilden die Grundlage für das eigentliche Spiel. Ignoriert man diese, so untergräbt man das Spiel. Sind zu weit gefasst, ist das Spiel langweilig.
Die Situationsvorgabe, die oft durch den SL erfolgt und die ebenfalls ähnlichen Vorgaben unterliegt, wie die Entscheidungen der Spieler, lässt sich ebenfalls kaum variieren. Ein gut designtes Spiel steckt einen klaren Rahmen ab, in dem sich der SL austoben darf. Je klarer die Einschränkungen, desto spielbarer ist das Spiel. Setzt man diese Vorgaben zu weit oder setzt sich der SL über die Vorgaben hinweg, verfällt das Spiel eh dem Kult des SLs und ist damit nicht mehr diskussionswürdig. Auch hier ist viel Freiheit nicht gleichbedeutend mit hoher Spielqualität.
Wieviel Aufmerksamkeit man der "Geschichte des Spiels" zukommen lässt, ist letztendlich eine Frage der Gruppe. Allerdings habe ich hier oft die Erfahrung gemacht, dass die meisten Spieler es bevorzugen diese so selten wie möglich zu ignorieren. Vielmehr sucht man hier die Einschränkung durch die "Geschichte", statt sie zu meiden. Für viele Spieler ist das wichtiger als völlige Entscheidugsfreiheit.
Eine hoher Grad an Spielerfreiheit ist demnach kein Qualitätsmaßstab an sich. Es ist viel wichtiger, dass die Einschränkungen klar erkennbar sind (durch gutes Spieldesign), nicht während des Spiels verändert werden (vgl. SL-Kult oder "Hauptsache Spaß"-Stil) und sogar eine gewisse Enge benötigen um Spaß zu machen.
Deshalb ist es irreführend von Spielerfreiheit zu sprechen; sie sogar als hohes Ziel zu sehen. Vielmehr muss es klare Grenzen geben; aber die Entscheidungen von SL und Spieler müssen für das Spiel die gleiche Bedeutung haben.
Donnerstag, Januar 04, 2007
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3 Kommentare:
Wirklich schöner Artikel!
Größtmögliche Spielerfreiheit ist, wie du schon schriebst, nicht wünschenswert. Den Spielern möglichst viel Reaktionsraum zu lassen ist dagegen sinnvoll.
Vielen Dank.
Allerdings wollte ich damit nicht zum Ausdruck bringen, dass viel Spielerfreiheit schlecht sei. Vielmehr ging es mir darum zu zeigen das Spielerfreiheit an sich kein Wert ist. Es ist eine neutral zu betrachtende Eigenschaft des Spiels. So wie der Gebrauch von Karten statt Würfeln bei Primetime Adventures oder dem Player-vs-Player Prinzip bei Paranoia. Es ist wie es ist.
Ein Spiel erlaubt den Spielern soviel Freiheit, wie es nunmal tut. Auf die Qualität des Spieldesigns hat das jedoch keinen nennenswerten Einfluß.
Hmm ...
Es war wohl davon auszugehen, dass mein Kommentar zu fragmentarisch war, als dass man ihn wirklich hätte verstehen können. Also gut: Zweiter Versuch.
Spielerfreiheit kann nur auf der Ebene des Spielens selbst wirklich funktionieren.
Beim RPG-Design größtmögliche Spielerfreiheit erziehlen zu wollen wäre fatal. Ein Grundregelwerk müsste gerade zu Folgendem auffordern: "Wählen sie aus den abgedruckten Regeln die aus, die ihnen gefallen, oder denken sie sich selbst welche aus." Nach dem selben Prinzip wäre das Setting und
alles Weitere zu wählen. Und zwar vo jedem Spieler einzeln. Anarchie. Im besten Fall ein - durch Konsens erziehltes - halbwegs funktionales Spiel, das kaum noch als Rollenspiel gelten kann.
(Die Ausführung kann, nach meinem Ermessen als allgemeingültiges Beispiel für jede Art von Spiel stehen.)
Das Spieldesign hat zwar einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Spielerfreiheit, aber nicht den entscheidenden. Letztendlich liegt es am Spieler selbst.
Das kann man durchaus auch mit Goethe sagen:
>>So ist's mit aller Bildung auch beschaffen.
Vergebens werden ungebundne Geister
Nach der Vollendung reiner Höhe streben.
Wer Großes will, muss sich zusammenraffen.
In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister,
Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben. <<
(Natur und Kunst; Verse 9-14)
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