Mittwoch, November 12, 2008

Erzählrollenspiele & aesthetisches Spiel

Erzählrollenspiele sind Rollenspiele, die vor allem auf aesthetisches Spiel ausgelegt sind. Das macht die beiden Begriffe zu Genreunterteilungen im Bereich des Rollenspiels. So wie Strategiespiele und Partyspiele Genres im Brettspielbereich sind und die übliche Weise diese Spiele zu spielen als Genres (bzw. Spielstile) betrachtet werden kann. Sicherlich kann man diese Dinge mischen. Man könnte etwa Twister wie ein Strategiespiel spielen. Oder Axis & Allies wie ein Partyspiel, aber letztendlich gibt es in beiden Fällen eine vorgesehene Spielweise, die dem Spiel und seinen Regeldesign am ehesten entgegenkommt.

Was ist mit aesthetischem Spiel nun gemeint? Was ist die Spielweise, die diese Erzählrollenspiele fördern und worauf sie ausgelegt sind? Zuerst sollte man sich klar machen, dass die Regelideen mancher Erzählrollenspiele vielleicht innovativ sind, das aesthetische Spiel jedoch keineswegs erst mit Sorcerer, Vampire, Champions oder sonst einem Rollenspiel erfunden wurde. Der historische Ansatz ist weder hilfreich noch sinnvoll, um aesthetisches Spiel zu verstehen. Auch lässt sich über Techniken oder Vorgehensweisen nur bedingt festmachen, was das besondere bzw. eigenständige daran ist. Weder führt der Gebrauch von Bangs zwingend zu aesthetischem Rollenspiel, noch wird es durch eine "traditionelle" Spielleiterrolle unmöglich gemacht.

Aesthetisches Spiel lässt sich gut erklären, wenn man sich eine Trennung zwischen dem Erspielen/Erschaffen der Fiktion und dem Erforschen/Wahrnehmen der Fiktion vorstellt. So als würde jede Spielhandlung ein aktives und passives Element besitzen. Von Interesse ist hier vor allem letzteres und eine solche Rollenspielrunde ist nur dann zufriedenstellend oder begeisternd, wenn die Fiktion bestimmte Eigenschaften aufweisen kann, welche man durch das Spielen wahrnimmt und genießt. Es hängt dabei vom aesthetischen Empfinden (oder einfach Geschmack) der Spielenden ab, welche das sind. Ein erkennbarer Spannungsbogen kann eine solche Eigenschaft sein, oder eine besonders glaubwürdig wirkende Spielwelt. Aber auch Charaktere mit plausiblem und durchdachtem Verhalten können für den aesthetischen Genuss der Rollenspielrunde von hoher Wichtigkeit sein. Letztendlich gibt es so viele mögliche Eigenschaften wie ein jeder Spieler erkennen und benennen kann. Um aesthetisches Spiel zu verstehen, muss man keine erschöpfende Kenntnis dieser möglichen Eigenschaften haben.

Man muss nur wissen, dass die Fiktion sich durch etwas auszeichnen kann und man im aesthetischen Spiel genau das erschaffen und wahrnehmen will..

Interessant ist hier, dass unterschiedliche Vorlieben für die eine oder andere Eigenschaft nicht zu Spannungen am Tisch führen müssen. Je unterschiedlicher die Vorlieben der einzelnen Spieler jedoch sind, desto schwieriger ist es eine Fiktion zu schaffen, die gefällt. Ein Spiel in dem die Fiktion nur eine Eigenschaft besitzen muss, ist einfacher als eines in dem die Fiktion fünf oder sechs Eigenschaften aufweisen muss, um die Spielenden zufrieden zu stellen. Wenn man diesen Punkt noch mit unflexiblen und konsensscheuenden Spielern kombiniert, landet man unweigerlich bei einer Runde, die aufgrund "zu unterschiedlicher Spielstile" nicht gemeinsam spielen kann.

Aber selbst eine eingespielte, traditionelle Gruppe, die mit Begeisterung aesthetisches Spiel betreibt, kann mit manchen Erzählrollenspielen Schwierigkeiten haben. Ein Regelwerk welches darauf ausgelegt ist bestimmte Eigenschaften untrennbar mit dem Spiel zu verbinden, andere vernachlässigt und wieder andere völlig unberührt lässt, kann oft zu unbefriedigenden oder frustrierenden Spielrunden führen. Aesthetisches Spiel lebt vor allem davon, dass man sich sowohl auf die Eigenschaften einlässt, die das Regelwerk zur Fiktion beiträgt, als auch die bevorzugten Eigenschaften der Mitspieler erkennt und Konflikte damit vermeidet.

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