Mittwoch, September 29, 2010

Erzählspiel - was soll das?

Beim Kommentieren dieses Eintrags im Apprentice Blog fiel mir auf, dass ich den Begriff Erzählspiel zwar nicht sonderlich mag, aber er sich dennoch in meinen Wortschatz geschlichen hat, wenn ich über Rollenspiele rede. Dabei ist mir die Unterscheidung zwischen erzähllastigen Rollenspielen und Erzähl(rollen)spielen sehr wichtig. Aber um das zu verdeutlichen muss ich ein wenig ausholen.

Es wird kaum jemand daran zweifeln, dass Brettspiele sehr unterschiedliche Spielerlebnisse liefern. Mensch Ärgere Dich Nicht spielt sich anders als Chaos in der Alten Welt und das spielt sich wieder anders als Junta oder Diplomacy. Oberflächliche Gemeinsamkeiten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass man es bestenfalls mit einer sehr weit gefächerten Bandbreite an Spielerlebnissen zu tun hat, die mit dem Begriff Brettspiel kaum ausreichend vermittelt wird. Aber niemand, der sich ein klein wenig damit beschäftigt würde etwa Monopoly und Puerto Rico gleichsetzen. Es gibt deutliche und zum Teil auch grundlegende Unterschiede zwischen den Spielen.

Ich bin der Ansicht, dass das auch auf Rollenspiele zutrifft. Es gibt auch bei Rollenspielen eine große Bandbreite an unterschiedlichen Spielerlebnissen, Spielzielen und Spielstilen. Eins davon ist das Erzählspiel.

Mit diesem Begriff sind all die Rollenspiele gemeint, für die folgendes gilt:

Die Charaktere und die Situationen, die sich während des Spiels ergeben, sind nicht allein deshalb interessant weil man „drin steckt“. Bei D&D (als Beispiel für ein nicht-Erzählspiel) sind die Ereignisse und auch die Kämpfe deshalb von Interesse, weil der Spieler sich vorstellt selbst dabei zu sein. Er ist vor Ort und stellt sich vor das Wirrwarr des Kampfes und das Getümmel selbst zu erleben. Würde man diesen Schritt weglassen, würden die meisten D&D-Runden nur wenig Spaß haben. Sich selbst in die Spielwelt einzufügen ist elementar für den Spielspaß und das wichtigste Element, das einen ans Rollenspiel bindet. Vergleicht man das hingegen mit einem prototypischen Erzählspiel wie Primetime Adventures (PTA), fällt auf dass das immer noch möglich ist; aber nicht mehr zwingend verlangt wird, damit das Spiel funktioniert. Die Spielregeln sind nicht dafür da den Spieler zu belohnen, weiterhin der Charakter zu sein. Hier geht es darum eine Serie und Figuren zu Beginn des Spiels zu entwickeln, die man in so einer TV-Serie sehen will. Es geht nicht darum Figuren zu entwickeln, die man sein will. Daher ist es auch eine weit verbreitete Hausregel bei PTA ein Netz an Figuren zu entwickeln und erst danach auszuwählen, welche man spielt. Es kommt dem Grundgedanken des Erzählspiels nahe, dass die Charaktere nicht stellvertretend für die Spieler in der Spielwelt handeln, sondern mit eigenen Zielen ausgestattet sind, die mit denen des Spielers zusammenfallen können, aber nicht müssen. Was jedoch für ein Erzählspiel unverzichtbar ist, sind Charaktere, die die Spieler interessieren. Was sie interessant macht, das unterscheidet sich natürlich von Spieler zu Spieler. Was auch erklärt weshalb viele Erzählspiele mehr Entscheidungsgewalt bei Setting- und Charaktererschaffung ermöglichen. Ziel ist es den Spielern alle notwendigen Mittel in die Hand zu geben, um Charaktere (und damit auch oft ein bestimmtes Umfeld) zu entwickeln, die sie interessant finden.

Ausserdem müssen Erzählspiele den Spielern Entscheidungen bieten, die nicht allein darauf aufbauen, dass der Spieler triumphieren will. Die interessanten Entscheidungen sind bei D&D vor allem taktischer Art. Selbstverständlich sind sie das nicht ausschließlich, aber das taktische Element innerhalb von Kämpfen und Konflikten ist ohne Frage das Herzstück des Spiels. Die Spieler haben ein bestimmtes Ziel im Auge und setzen die Fähigkeiten ihrer Charaktere möglichst geschickt ein, um genau dieses Ziel zu erreichen. Sei es ein Kampf, eine Verhandlung oder eine politische Intrige. Die Entscheidungen im Erzählspiel hingegen sind darauf ausgelegt die logische und schlüssige Folge dessen zu sein, was bisher passiert ist. Bei PTA würde man entscheiden was die nächste logische Handlung des Charakters wäre, welcher – wie schon erwähnt - nicht identisch zum Spieler sein muss. PTA bedient sich des Zufallselements durch Karten, um die Autonomie des Charakters zu simulieren. Der Spieler bestimmt nicht einfach, wie der Charakter sich in einem wichtigen Moment entscheidet, sondern muss die Karten als Ausgangspunkt nehmen, um diese Entscheidungen zu treffen. In vielen Erzählspielen (und auch bei PTA) kommt noch hinzu, dass die Spieler Einfluss darauf haben in was für Situationen sie die Charaktere bringen. Auch hier geht es darum das Spiel für alle Beteiligten interessant zu halten, indem die Charaktere mit den Dingen konfrontiert werden, die die Spieler interessant oder ansprechend finden. Wobei das Interesse nicht immer freudig sein muss. Oft ist es auch unterhaltsam die Charaktere in missliche Situationen zu bringen, um als Spieler zu überlegen wie der Charakter dort handeln würde.

Beschreibungen (worunter ich auch das Ausspielen des Charakters verstehe) haben im Erzählspiel einen hohen Stellenwert. Sie sind die Grundbausteine des Erzählspiels. Man kann es mit dem Bewegen einer Spielfigur beim Schach vergleichen. Beschreiben ist nicht die Quelle des Spielinteresses (genau so wenig, wie es das Figurenschieben beim Schach ist), aber das was man tun muss, um das Spiel zu spielen. Daher müssen Beschreibungen sorgfältig und mit Bedacht gewählt werden. Man vergleiche nur, wie sehr der Spielspaß bei D&D darunter leiden würde, wenn Spieler beliebig und ohne zu überlegen entscheiden was ihr Charakter im Kampf tut. Ebenso leidet ein Erzählspiel darunter wenn Beschreibungen so behandelt werden.

Hier würde ich auch eine klare Grenze zu erzähllastigem Spiel ziehen. Beschreibungen sind in beiden Fällen sehr präsent und können mit viel Sorgfalt gewählt werden. Aber beim erzähllastigen Spiel dienen sie dazu eine abstrakte Regelanwendung zu verkleiden. D&D4 ist da ein gutes Beispiel. Die Anwendung einer Power zieht im Normalfall eine Beschreibung nach sich. Dadurch wird ein abstrakter Regelmechanismus organisch ins Spiel eingebunden und die Interaktion lebendiger gemacht. Eine andere Aufgabe hat die Beschreibung jedoch nicht. Wer mag kann sich natürlich an ihr selbst erfreuen, aber der Fortgang des Spiels wird dadurch bestimmt, welche Regelmechanismen greifen und nicht welche Beschreibungen die Spieler einbringen. Je abstrakter und allgemeiner die Regeln dabei sind, desto erzähllastiger kann das Spiel werden. Daher erfreuen sich gerade regelarme Rollenspiele bei Leuten großer Beliebtheit, die gerne erzähllastig spielen. Das organische Einbinden der Regeln, die den Spielfortgang beeinflussen, verlangt es von den Spielern mehr zu beschreiben. So entsteht schnell der Eindruck, dass regelarme Rollenspiele mehr Rollenspiel (d.h. Ausspielen der Figur) erfordern, als es regelintensive Rollenspiele tun.

Beim Erzählspiel hingegen geht es nicht um diesen spielerischen Mehrwert durch das Beschreiben. Die Beschreibung selbst ist bereits der Spielakt und der Beitrag, den man zum Spielerlebnis leistet. Dadurch wird das Spiel vorangetrieben und darauf baut auch jeder weitere Spielzug auf.

Offensichtlich gibt es Regelwerke, die einzelne Aspekte des Erzählspiels gut unterstützen (z.B. Pendragons Passions) und ebenso offensichtlich trägt das Verhaltenden der Spielenden ebenfalls viel dazu bei, ob man nun eher Erzählspiel, erzähllastiges Rollenspiel oder irgendwie anders Rollenspiel spielt. Das Regelwerk kann da lediglich Hilfsmittel stellen. Auch muss man keine Worte darüber verlieren, dass sich so eine Spielausrichung im Laufe einer Kampagne oder auch eines Abends wandeln kann. Das setze ich schlicht als gegeben voraus.

Die Unterscheidung, die ich hier zwischen Erzählspiel und erzähllastigem Spiel sehe, wird durch diesen Eintrage hoffentlich deutlicher. Das erzähllastige Spiel stellt die Beschreibungen unter die spielrelevante Interaktion und bereichert diese. Während das Erzählspiel in der Beschreibung bereits eine spielrelevante Interaktion versteht.

Sonntag, September 12, 2010

Das ist keine Flagge, das ist schlechte Erziehung

Ein kurzes Überfliegen von rsp-blogs.de hat mir folgenden Blogeintrag geliefert, in dem sich Edalon Gedanken über das Flag Framing macht. Ein sicherlich nicht ganz uninteressantes Konzept, das jedoch - wie so viele Begriffe und Ideen, die im Dunstkreis der Forge ins Gespräch kamen - sehr viel spezifischer und enger gedacht ist, als es in den meisten Runden verstanden und umgesetzt werden will.

Wie so vieles aus dem Forge-umfeld haben Flags vor allem mit einer bestimmten Spielweise zu tun, namentlich dem Narrativismus oder Erzählspiel wie es hierzulande mehr oder weniger übertragen wurde. Die Unterschiede zwischen Erzählspiel und was auch immer man als Gegenpol aufziehen möchte, sind mannigfaltig, unzählbar und ändern sich nach Wetterlage fast täglich. Für das Konzept der Flags ist jedoch nur wichtig zu wissen, dass das Setting, die Charaktere, der Hintergrund, die Situationen... kurz alles was innerhalb des Spiels erfunden, erspielt oder entwickelt wird unter einem ästhetischen Gesichtspunkt betrachtet wird. Oder anders gesagt: man schaut ob etwas irgendwie ansprechend und interessant ist. Erst danach betrachtet man die logischen Folgen und notwendigen Bedingungen, um diese Idee umzusetzen. Wenn man also Lust auf Fabelwesen in den 1920ern hat, dann legt man das fest und beginnt danach erst zu überlegen wie es dazu gekommen sein mag, dass plötzlich Feen, Kobolde und Elfen existieren und was für Folgen das haben könnte. Oder wenn man Freiheitskämpfer in der Spielwelt haben möchte, beginnt man damit und entwickelt danach das Wie, Warum und Wozu.

Flags muss man daher als kleine inhaltliche Konzepte verstehen, mit der man die Spielwelt auffüllt und sie so ansprechender macht. Oder für unsere Denglisch-freunde: Flags sind (ausgewählter)„creative content“, der die Grundbausteine für die Spielwelt liefert. In einem Erzählspiel ist sowas vollkommen normal. Es werden Inhalte und Ideen angesprochen, die dann innerhalb das Spiels umgesetzt, eingebunden und verarbeitet werden. Flags haben jedoch eine besondere Funktion – und darüber scheint kaum Verwirrung zu bestehen – die sie erst zu Flags machen. Flags signalisieren und kommunizieren ein Interesse des Spielers an den SL und den Rest der Gruppe. Man darf diese Funktion von Flags jedoch nicht zu sehr vereinfachen oder verallgemeinern, denn dadurch wird das Ganze wirkungslos.

Flags sind kein unnötiger, englischer Begriff für „sagen was man will“. Mit Flags versucht man gerade den Dingen auf die Schliche zu kommen, die die Mitspieler in einer Spielrunde suchen aber nur schwer in Worte fassen können. Über die inhaltlichen Angaben versucht sich der gewillte SL an das heranzutasten, was die Spieler an den Tisch fesselt. Flags sind lediglich ein Hinweis auf das was ein Spieler sucht, und nicht das Aussprechen eines konkreten Wunsches.

Es geht bei Flags darum, dass man seinen Mitspielern wirklich zuhört. Der Vorschlag Fabelwesen einzubringen, kann viele unterschiedliche Gründe haben. Vielleicht interesiert der Spieler der Kontrast zwischen Technik und Magie in den 1920ern, vielleicht will er ein kindhaftes Sense of Wonder, vielleicht hat er Spaß am Aufrütteln der Vorstellung, dass der Mensch die Spitze der Schöpfung ist, vielleicht soll die Spielrunde bunter und fantastischer gemacht werden. Aber wenn man sich keine Gedanken über das Warum macht, sondern einfach nur das in die Spielwelt reinklatscht, was der Spieler gesagt hat... dann benutzt man keine Flags. Dann lagert man lediglich Arbeit auf die Spieler ab, sich etwas für das Abenteuer einfallen zu lassen.

Daher lassen sich Flags nur schwer und oft mit weniger Erfolg auf Allgemeineres erweitern. Sie entstanden als Begriff um sehr aussagekräftige Vorschläge von Spielern was den Inhalt der Spielrunde angeht zu fassen und zu versuchen diese besser zu erkennen. Wenn man versucht diesen Vorgang mit Fragebögen und ähnlichem beizukommen, geht das nur völlig an der Grundidee vorbei.

Denn die eigentliche Problematik an diesen Spielervorschlägen liegt darin, dass es wenig Spaß macht, genau das zu bekommen was man zu Beginn gesagt hat. Es ist ein Rollenspiel. Nichts hindert einen daran zu sagen „es gibt Fabelwesen in den 1920ern“. Wenn man dafür erst umständlich Wege über Regeln und Spielvorbereitung gehen muss, dann ist das kein Verdienst oder ein reizvoller Spielinhalt. Es ist lediglich eine komische Form verhätschelt zu werden. Es muss jeder selbst entscheiden wie sehr das den eigenen Spielspaß steigert.

Man kann sicherlich versuchen Flags jenseits von inhaltlichen Vorschlägen zu suchen. Sei es bei den Werten der Charaktere, deren Eigenschaften oder deren Hintergrundgeschichte. Und wer darin ein wenig Übung hat, kann diese Informationen vielleicht ähnlich gut auswerten. Aber Flags, die sich aus dem Inhalt ableiten, scheinen mir effektiver und direkter. Vor allem sind sie innerhalb des Erzählspiels die mehr oder weniger natürliche Form sich über das Spiel zu unterhalten. Man spricht über die Dinge, die in der Spielwelt passieren und drückt damit (oft implizit) aus, was einen daran interessiert. Wer ein Ohr für diese Dinge entwickelt, kann die Spielrunde mit Inhalten anreichern, die das gleiche Interesse bedienen und dabei frisch und überraschend bleiben.