Sonntag, Oktober 19, 2008

Vergessene Künste der Spielleitung

Im Zuge der Wiederentdeckung alter Spiele und alter Spielweisen, fällt auch immer wieder auf dass es einige Seiten des Spielleitens gibt, die zwar wichtig aber in Vergessenheit geraten sind.

Spielweltvorbereitung

Das Vorbereiten von Werteblöcken für NSCs, Gefahren in der Umgebung oder ähnlichen regelbezogenen Inhalten ist eine Aufgabe, die kaum ein SL vergisst oder übersieht. Zu offensichtlich sind die Auswirkungen während des Spiels, wenn diese Werte nicht vorliegen. Aber die Vorbereitung endet nicht nur mit der Errechnung bzw. Bestimmung solcher Werte. Als SL muss man auch die Spielwelt vorbereiten und auch diese Dinge greifbar halten, die sich nicht in Regelbegriffen ausdrücken lassen. Diese Hilfe kommt jedoch nicht primär den Spielern, sondern dem SL zu Gute. Durch die Vorbereitung der Spielwelt, also der Bestimmung von (für das Regelwerk) irrelevanten Details, legt der SL sich die Mittel zurecht an Hand derer er Fragen schnell und spielweltgerecht entscheiden kann. Das bedeutet nicht die Spielwelt in allen ihren Dimensionen in und auswendig zu kennen oder Hunderte oder Tausende Seiten Hintergrundinformationen zu lesen oder gar selbst zu schreiben. Das braucht kein Mensch. Wenn man Spaß daran hat, dann ist natürlich jede Minute damit sinnvoll investiert. Aber wirklich notwendig ist nur ein Bruchteil dieses Aufwands. Nur so viel, wie man braucht um auf die Spieler reagieren zu können ohne sich in den Zufall oder die Beliebigkeit flüchten zu müssen.

freies Sprechen

Obwohl Rollenspiele fast ausschließlich über gesprochene Sprache stattfinden, machen sich kaum SLs Gedanken darüber wie sie sprechen. Noch weniger üben an ihrem Wortschatz, ihren Formulierungen oder auch nur an einer flüssigen und klaren Artikulation. Es fällt mir immer wieder auf wie sehr meine eigenen Spielrunden darunter leiden, wenn ich mich nicht konzentrieren kann und deshalb meine sprachlichen Fähigkeiten darunter leiden. Es ist für den Spielfluß sehr abträglich, wenn man stammelnd nach Worten suchen muss, sich in langen Bandwurmsätzen verliert oder durch seine eigene Sprechweise für Ablenkung sorgt. Schönes und angenehmes Sprechen ist eine Kunst, derer sich mehr SLs wieder annehmen sollten. Die richtigen Worte zur richtigen Zeit zu kennen und diese dann auf verständliche, wenn nicht sogar wohlklingende Weise vorzutragen, trägt weit mehr zu einem guten Rollenspiel bei als regelkonformes Spiel und spannende Gefechte.

souveränes Auftreten

Eine der bedauernswerten Folgen der Benennung bestimmter Vorgehensweisen als "railroading" oder SL-Tyrannei ist die zunehmende Zahl der Spielleiter, die sich aus dem Spiel zurückziehen und einzelne Fragen auf die Spieler zurückwerfen, statt mit der gleichen Selbstverständlichkeit das Spiel zu leiten wie die Spieler ihre Charaktere spielen. Regelauslegungen werden zur Abstimmung frei gegeben, Hintergrundinformationen zu NSCs oder Orten werden an die Wünsche der Spieler angepasst und der Spielfluß wird gemäß der Vorlieben der Spieler gesteuert. An sich sind diese Vorgehensweisen alles andere als schlecht, aber wenn sie dazu führen, dass der SL als Spielteilnehmer kaum noch wahrgenommen wird, läuft etwas verkehrt. Die Spielwelt und die Regeln sind häufig fest mit der Person des SLs verknüpft. Wenn dieser nun wie ein Fähnchen im Wind zu hängen scheint und ohne eigene (von den Spielern unabhängige) Zielsetzung teilnimmt, dann fällt das auch auf die Spielwelt und die Regeln zurück. Das Fundament, das Spielwelt und/oder Regeln liefern, wirkt dann beliebig und belanglos. Jedes Spiel, das darauf aufzubauen versucht, wird als leer und bedeutungslos empfunden.

entspannende Wirkung

Viele Spielleiter vergessen, dass ihnen eine besondere Position am Tisch zukommt. Oft ist ihr Verhalten ausschlaggebend dafür, wie locker oder angespannt das Spiel ablaufen wird. Komplizierte Regelwerke, ernste Inhalte oder komplexe Zusammenhänge benötigen einen Spielleiter, der diese so in das Spiel einbringen kann, dass die Runde weder zu verkopft und verkrampft, noch albern und niveaulos endet. Eine Rollenspielrunde muss Spiel bleiben. Gerade wenn die eigene Rollenspielrunde auch erzählerische Inhalte und Formen jenseits des Kinderfilms aufgreift, ist es die Aufgabe des SLs das Spiel nicht in verkrampftes Entrüstungskaraoke oder Betroffenheitsmeditation abgleiten zu lassen. (Dass die gezielte Reduzierung von allem und jedem auf dümmliche Karikaturen oder plumpe Schock- oder Ekelmomente, das Spiel nach unten zieht und ein SL deshalb auch auf eine gewisse Form der Ernsthaftigkeit pochen muss, scheint hingegen kaum jemand vergessen zu haben.) Eine entspannte und gelassene Herangehensweise an die Rollenspielrunde ist ein großer Gewinn für jede Gruppe.

Realismus & Drama

Es ist in vielen Kreisen üblich von einem SL zu fordern, die Spielwelt nach einem einzelnen Prinzip zu leiten. Die einen preisen den Realismus, die anderen das Drama. Einige besonders Spitzfindige versuchen über den Begriff Plausibilität die Unterschiede zwischen den beiden zu nivellieren. Dabei ist die Unterscheidung an sich sehr sinnvoll. Lediglich das dogmatische Klammern an einen Standpunkt und das Verachten der jeweils anderen Idee ist eine Unsitte, die immer stärker um sich greift. Realismus ohne Drama ist langweilig. Aufnahmen von Überwachungskameras sind schrecklich öde, es sei denn sie liefern einen Einblick in etwas Drama oder gar in eine kleine Geschichte. Aber Drama ohne Realismus ist hohl. Eine Spielwelt, die allein nach dramaturgischen Prinzipien funktioniert, ist in etwa so interessant und ansprechend wie eine Folge Tom & Jerry oder die Star Wars Prequels. Einen guten SL erkennt man daran, dass er sich beider Prinzipien zu bedienen weiß und so die richtige Mischung aus Bodenständigkeit und Erzähllogik trifft.

Mittwoch, Oktober 01, 2008

Zusatz zur Goldenen Regel

Wenn man die Goldene Regel versteht als: "Wenn irgendeine Regel dem Spielspaß im Weg steht, dann ignoriere sie."

Dann sollte auch gelten:
"Wenn du den Zweck irgendeiner Regel nicht durchschaust, dann ignoriere sie."

In letzter Zeit festigt sich bei mir der Eindruck, dass ein Rollenspiel egal wie komplex oder klassisch es ist, nur dann wirklich reibungslos verläuft, wenn die Teilnehmer wissen was sie tun. Insbesondere einige der durchaus ausgeklügelten und cleveren Spieldesign-kniffe kommen erst dann zum tragen, wenn die Spielgruppe sich der Dinge bewusst ist, die dort aufgegriffen werden.

Ich erinnere mich zum Beispiel an Primetime Adventures Spielrunden auf Conventions, die nur sehr schwer in Gang kamen, weil zu viele Spieler am Tisch nicht auf Anhieb Spannung und Dramatik als plot-treibendes Element (im Gegensatz zu Einzelhandlungen deren Gelingen durch Würfel bestimmt wird) verstanden haben. Der große Aha-effekt kam dann erst gegen Ende der Spielrunde, nachdem man sich mit leichter Verwirrung durch das zähe Spiel geschleppt hatte. Ähnliches gab es auch bei Dogs in the Vineyard, in dem die Vorstellung als Spieler ein Urteil über die Geschehnisse des Abenteuers zu fällen und anschließend ein Urteil zu wählen, dass für den Charakter einen Sinn ergeben würde, dermassen fremd war, dass es zwar zu stetiger Eskalation aber zu keiner Auflösung kam. Die Spieler, die jedoch mit dieser Urteilshandlung auf Spielerebene und danach auf Charakterebene zurecht kamen, trieben das Spiel anschließend mit Schmackes vorwärts.

In beiden Fällen wäre die Spielrunde flüssiger und auch einfacher verlaufen, wenn ich einige Regeln ausgelassen hätte und an diesen Stellen auf offenes Erzählen ausgewichen wäre, statt auf eine praktische Anwendung von Regeln zu bestehen, deren Zweck sich den Spielern in dem Moment noch nicht erschloss. Dieses Zurückfallen auf schlichtes Erzählen ist ein sehr gutes und nützliches Hilfsmittel um sich gerade ungewöhnlichen oder auch nur sehr komplexen Rollenspielen zu nähern und vielleicht beim nächsten Mal schon sicher im Griff zu haben.