Montag, August 17, 2009

Der feine Unterschied zwischen Balance und Fairness

In letzter Zeit wird Balance zunehmend zum Schandbegriff in Rollenspielkreisen. Dabei handelt es sich dabei doch um einen ganz vernünftigen Ansatz um ein Rollenspiel zu konzipieren.

Unter Rollenspielern wird Balance oft als eine in den Regeln verankerte Fairnessinstanz verstanden. Dieser Gedanke liegt vor allem dann nahe, wenn man die gemeinsame Spielgrundlage durch die Regeln gegeben sieht. Das wird jedoch den Besonderheiten des Rollenspiels nicht gerecht, in der die gemeinsame Spielgrundlage eben nicht wie bei einem Brettspiel durch die Regeln, sondern durch die Spielwelt gegeben ist. Da diese aber in der Hand des Spielleiters liegt, wird bei dieser Sicht auf Balance die besondere Aufgabe des Spielleiters schnell übersehen:

Der SL ist im Rollenspiel die oberste Instanz, insbesondere was Fragen der Fairness angeht.

Dabei muss man sich jedoch deutlich machen, dass ein SL zwar fair sein muss, eine Spielwelt jedoch nicht. Das Rollenspiel Paranoia ist ein Paradebeispiel für genau diese Trennung zwischen fairem SL und unfairer Spielwelt. Das Setting wie auch das Rollenspiel zeichnet sich dadurch aus, dass sowohl der Alpha Complex wie auch die Missionen/Abenteuer zum Teil gnadenlos unfair sind und die Charaktere in tödliche Widersprüche und gemeingefährliche Situation zwingt. Wenn der SL jedoch nicht fair leitet und die Unfairness der Spielwelt auf den Spieltisch ausweitet, macht er damit aus einem humoristischem Rollenspiel einen peinlichen SL-Powertrip auf Kosten der Spieler. Die Fairness des Spielleiters muss unabhängig von der Fairness der Spielwelt gültig sein.

Wenn Balance nun also nicht eine faire Spielwelt erzwingen soll, welchen Zweck hat sie dann? Sie ist, wie so vieles bei Rollenspielregelwerken, eine Erleichterung für den Spielleiter. Man muss nicht jahrelange SL-Erfahrung besitzen, um zu begreifen, dass Spieler sich am liebsten Gegnern und Situationen annehmen bei denen sie eine Chance haben, erfolgreich zu sein. Als SL sollte man daher geübt darin sein, diese Dinge mit Hinblick auf die Regeln richtig abzuschätzen und unter dem Gebot der Fairness die Spieler wissen lassen, wann sie eine Chance auf Erfolg/Überleben haben und wann nicht. Niemand will einen fatalen Kampf nur deshalb überstehen, weil der SL zurückrudert nachdem er bemerkt hat, dass die NSCs gefährlicher und tödlicher sind, als er in der Vorbereitung gedacht hat. Umgekehrt will man als SL auch nicht in der peinlichen Situation landen, dass eine Gruppe von Monstern sich als Grossmäuler mit gläsernem Kinn entpuppt, nachdem man sie in der Spielwelt bereits als große, schreckliche Gefahr eingeführt hat. Sicherlich mögen das Fehler sein, aus denen man nach 4 oder 5 Sitzungen gelernt hat; aber warum diese Zeit mit einer Lernkurve vergeuden, wenn man ein Regelwerk haben kann, das einem dieses Finetuning abnimmt?

Ein Regelwerk, das auf Balance angelegt ist, ist wie ein Werkzeug, dass nicht mehr kalibriert werden muss. Man kann als Spielleiter Orte, Aufgaben, Situationen und weiteres genau so schwierig oder so einfach gestalten, wie man es für angemessen hält und sich darauf verlassen, dass das Regelwerk einem keinen Strich durch die Rechnung macht. Der ausbalancierte Null-Zustand einer Situation kann hier einfach aus dem Regelwerk übernommen werden und muss nicht erst aufwändig berechnet und mit dem Setting abgeglichen werden. Das macht Balance für Spielleiter attraktiv. Die Frage der Fairness spielt bestenfalls indirekt eine Rolle.

Dienstag, August 11, 2009

Wie man Kaufabenteuer leitet

Kaufabenteuer sind bei einigen Rollenspielern verpönt, weil sie entweder viel Arbeit bedeuten oder weil sie vermeintlich Railroading in Tüten sind. Das mag für schlechte Kaufabenteuer sicherlich stimmen; aber ich denke, dass es ein Zeichen eines guten SLs ist, ein Kaufabenteuer leiten zu können ohne dabei alles umschreiben zu müssen oder die Spieler einen vorgefertigen Plot entlangzuprügeln.

Dabei ist das Leiten eines Kaufabenteuers gar nicht so schwer. Zuerst muss man sich nur von der unausgesprochenen, aber weit verbreiteten Vorstellung lösen, dass ein vorbereitetes Abenteuer einem das Spielleiten abnimmt. Ein Kaufabenteuer kann einem nicht sagen, was man als Spielleiter tun muss. Wenn die Spieler handeln, dann muss man immer noch selbst entscheiden welche Folgen das hat. Man muss selbst entscheiden, wie NSCs reagieren oder die Welt um die Charaktere herum.

Ein Kaufabenteuer nimmt einem als SL lediglich dahingehend Arbeit ab, dass man diese Entscheidungen nicht aus dem Nichts heraus fällen muss. Stattdessen erhält man einen Rahmen, der einem hilft für das Abenteuer relevante Entscheidungen zu treffen. Man muss diese Entscheidungen immer noch treffen. Man kann sie nicht einfach nachschlagen. Man kann sie auch nicht auf die handvoll Optionen reduzieren, die im Abenteuer vorgekaut wurden. Man muss die Informationen im Kaufabenteuer als Grundlage nehmen, auf der man das Leiten des Spiels aufbaut.

Wichtiger noch als eine enzyklopädische Regelkenntnis, wichtiger noch als eine gute Performance und wichtiger als eine Sensibilität was die Spannungen und Stimmungen am Tisch angeht, ist die Fähigkeiten eine stabile Grundlage zu schaffen auf der man konsistente Entscheidungen fällen kann. Man muss in der Lage sein, die Informationen, die im Kaufabenteuer präsentiert werden, als Ausgangspunkt zu nutzen, um die Spielwelt auf die Aktionen der Charaktere reagieren zu lassen.

Um das zu erreichen, muss man wissen welche Informationen man selbst benötigt, um eine Runde gut leiten zu können. Manche SLs brauchen eine Zeitleiste, andere müssen die Beweggründe der NSCs verstehen, wieder andere brauchen lediglich die Spielwerte, um zu wissen wie fordernd eine Situation für die Gruppe ist, oder vielleicht braucht man als SL einen dramaturgischen Bogen, nach dem man sich richtet. Manche diese Herangehensweisen finde ich nachvollziehbar, andere vollkommen absurd; aber letztendlich hat jeder SL seinen eigenen Ansatz und solange man damit gute Spielrunden leiten kann, ist das ja egal.

Die Texte des Kaufabenteuers dienen dem SL allein als Fundament für die Spielrunde. Am Tisch muss man weiterhin die gleichen Aufgaben erfüllen, wie auch bei einem selbstgemachten Abenteuer. Die Arbeitsersparnis liegt in der Vorbereitung, d.h. in der Erschaffung von Spielinhalten. Darum muss man sich nicht mehr kümmern. Man kann sich ganz darauf konzentrieren diese Spielinhalte in das laufende Spiel einzubringen, eine mitreissende Welt zu präsentieren und auf die Handlungen der Spieler zu reagieren.

Wie bei so vielem im Rollenspiel, muss man gewillt sein alles Geschriebene oder Gedruckte über Bord zu werfen, wenn man sich an den Tisch setzt.