Donnerstag, Oktober 26, 2006

Horror im Rollenspiel

Horror-Rollenspiele sind ein schwieriges Spielkonzept. Sie orientieren sich eindeutig an einem Genre, in dem es darum geht ein Gefühl der lähmenden Angst und gelegentlich des Ekels zu empfinden. Horrorgeschichten zeichnen sich nicht als Geschichten des menschlichen Triumphes aus. Auch handeln sie nicht davon wie der menschliche Verstand sich gegen die Emotionalität behauptet. Alien ist keine Geschichte des erfolgreichen Erstkontakts mit einer fremden Lebensform. Ring ist keine Erzählung über den reifen Umgang mit dem Tod. Lovecrafts Mythos-Geschichten handeln nicht von erfolgreichen Polizeiaktionen oder Abenteuern in der Wildnis.

Gerade bei den Kurzgeschichten von H.P. Lovecraft steht die Angst aus Hilflosigkeit im Vordergrund. Der Wahnsinn, dem viele Figuren in diesen Geschichten verfallen, ist eine Folge der Erkenntnis, dass der Mensch unwichtig und nebensächlich ist. Gerade wenn der Mensch zur bedeutungslosen Randerscheinung von Mächten verkommt, die er nicht begreifen kann, verursacht das oft einen schaurigen Eindruck beim Leser.

Wie erzeugt man diesen schaurigen Eindruck beim Rollenspiel? Wie schafft man es, dass die Spieler ein ähnlich schauriges Erlebnis haben wie beim Lesen einer Lovecraft-Geschichte? Die Antwort scheint naheliegend: der Spieler muss in eine ähnliche Situation der Hilflosigkeit gebracht werden.

Hier jedoch muss man sehr gut aufpassen. Hilflosigkeit kann schnell in völliger Ausgrenzung des Spielers ausarten und ist in einigen Fällen sogar überhaupt nicht davon zu unterscheiden. Cthulhu kann sehr schnell in einem Spiel münden, in dem der SL die Spieler konsequent vom Spiel ausgrenzt. Damit sind die Spieler zwar hilflos, das Spiel dafür jedoch im Eimer.

Manch einer versucht sich zu behelfen, indem er typische Horror-Szenarien beschreibt und den Horror "nachspielt". Es wird zur Aufgabe des Spielers seine Figur so zu spielen, wie es die Figuren in Horrorgeschichten halt tun. Statt den Horror zu erleben, wird er lediglich nachgestellt. Dieser Ansatz hat mir bei Paranoia schon nicht gefallen, es überzeugt mich auch hier nicht.

Es geht jedoch noch schlimmer: als SL gezielt in den persönlichen Ängsten des Spielers herumwühlen und das Spiel darauf auszurichten. Ganz davon abgesehen, dass ich es für unverantwortlich halte mit den Ängsten anderer so umzugehen, wird aus dem Rollenspiel damit eine Psychotherapie. Wem der Sinn danach steht, der sollte sich vielleicht an Leute wenden, die sich damit auskennen. Eine Rollenspielrunde halte ich nicht für den besten Ort dafür.

Ist Horrorspiel-Erfahrung und Rollenspiel ein unvereinbarer Widerspruch? Ist die einzige Möglichkeit ein solches Rollenspiel durch einen Kompromiss zwischen Spielbarkeit und Ausgrenzung (und damit Hilflosigkeit) zu erreichen? Ich bin mir nicht sicher, aber eine sinnvolle Alternative sehe ich bisher noch nicht.

Aber um trotz Hilflosigkeit noch ein konkretes Rollenspiel zu haben ist es zwingend notwendig, dass das Spiel klare Vorgaben liefert. Wieviel die Spieler erreichen können und insbesondere wie sie das Spiel beeinflussen können, muss immer klar und erkennbar bleiben. Es darf sich nicht nach Belieben verändern. Der Spieler muss immer wissen, ab wann er hilflos ist. Eine in seiner Wirkung auf die Spieler nicht zu unterschätzende Situation, ist das Wissen dass man zwischen Optionen entscheiden muss, die beide unangenehme Konsequenzen nach sich ziehen können. Wenn man das noch zum Hintergrund passend ausschmückt, so lässt sich ein respektables Horrorerlebnis ins Spiel bringen, welches dann noch zu Recht als Rollenspiel bezeichnet werden kann.

Donnerstag, Oktober 19, 2006

Dabei sein ist alles

Eine der reizvollsten Eigenschaften eines Rollenspiels ist die Interaktion zwischen Menschen am Spieltisch. Rollenspiel sind auf eine gewisse Art Konversations-spiele und die Tatsache dass man sich mit anderen Leuten austauscht und sich Dinge gemeinsam vorstellt, ist die große Stärke des Hobbies. Es ist etwas was Computerspiele nur in sehr begrenzter Form (VoIP) liefen können. Die wenigsten Brett- oder Kartenspiele machen so starken Gebrauch vom Vorstellungsvermögen der Teilnehmer, auch wenn es viele Spiele gibt, die ähnlich auf Kommunikation zwischen den Spielern bauen. Für das passive Erleben einer Geschichte bieten sich weit bessere Möglichkeiten (Film, Theater, Literatur). Rollenspiel kann reaktiv gespielt werden, es ist aber nicht für Passivität konzipiert.

Daraus folgt das jeder Vorgang der die Interaktion der Spieler unterbindet oder verhindert, das Spiel aufhebt und damit dem Spielspaß schadet. Dabei muss man jedoch beachten, dass damit nicht jede Form der Kommunikation am Tisch gemeint ist. Nicht alles was am Tisch gesagt und getan wird, ist spielrelevant. Das ist von Spiel zu Spiel verschieden.

Wenn die Spieler jedoch nicht die Möglichkeit haben spielrelevante Entscheidungen zu fällen, so kann es keine Spielinteraktion geben und damit kein Rollenspiel. Mit spielrelevanten Entscheidungen meine ich nicht nur Handlungen, die vom Regelwerk erfasst werden, sondern speziell Spielhandlungen, die auf das gemeinsame Spielziel ausgerichtet sind. Man stelle sich eine Paranoia-Runde vor, in der es nicht möglich gegen andere Spieler zu intrigieren oder eine Warhammer-Runde in der man keinen Konflikt eingehen kann.

Sowohl falsche Entscheidungen des SLs als auch schlecht designte Spielregeln können dazu führen, dass Spieler von der Interaktion ausgeschlossen werden.

Diese Ausgrenzung wird jedoch traditonell mit dem Verlieren des Spiels verknüpft. Wer verliert, ist draussen und darf nicht mehr mitspielen. Heißt dass, das man im Rollenspiel nicht verlieren dürfen sollte, damit es ein Rollenspiel bleibt bzw. Spaß macht? Mitnichten. Man kann verlieren, bzw. versagen und trotzdem an der Spielinteraktion beteiligt sein. Entweder in einer veränderten Rolle oder indem ein neuer Spieldurchgang beginnt, bei dem sowohl Gewinner als auch Verlierer beteiligt sind.

Ein gut laufendes Rollenspiel darf keine längerfristigen Ausgrenzungen durch SL-Entscheidungen oder "Niederlagen" beinhalten. Ausgegrenzte Spieler sind lediglich Publikum und nicht mehr Teil des Hauptmotors einer Rollenspielrunde: der Interaktion.

Donnerstag, Oktober 12, 2006

Brettspiel: Fury of Dracula

Fury of Dracula (FoD) ist ein Brettspiel, das ursprünglich von Games Workshop produziert und nun von Fantasy Flight Games neu aufgelegt wurde. Die gleiche Firma, die bereits das Doom Brettspiel, Descent, Arkham Horror und Twilight Imperium veröffentlicht hat. Diese Spiele zeichnen sich vor allem durch ihre aufwändige Aufmachung und für deutsche Verhältnisse komplexen Spielvorgänge aus. Ausserdem gibt es in der Regel eine beeindruckende Anzahl an Karten, Plättchen und/oder Figuren, die man zum Spielen braucht. FoD liegt mit seinen 45 Plättchen und den insgesamt 120 Karten eher im unteren Mittelfeld, was die Spiele von Fantasy Flight Games angeht.

Das Spiel ist quasi-kooperativ. Ein Spieler spielt Dracula, der durch das Europa des ausgehenden 19. Jahrhunderts reist und versucht Vampire zu erschaffen, um die Menschheit zu unterwerfen. Aristokraten halt. Vier Charaktere (Lord Godalming, Dr. Seward, Van Helsing und Mina Harker) aus dem bekannten Buch arbeiten zusammen, um ihn daran zu hindern. Dazu müssen sie ihn aufspüren und anschliessend im Kampf schlagen. Das Spiel wirkt auf den ersten Blick wie ein aufgetakeltes Scotland Yard, aber beim genaueren Hinsehen erkennt man dass alle Teilnehmenden eine weit größere Handlungsbreite besitzen. Das Zusammenspiel der verschiedenen Karten und Plättchen, sowie den unterschiedlichen Vorgehensweisen, die Dracula wählen kann um das Spiel zu gewinnen, fordern so einiges von den Spielern.

Die Spannungskurve des Spiels empfand ich als sehr gelungen. FoD ist ein Spiel, das langsam aber stetig an Intensität gewinnt. Beide Seiten müssen Strategien entwickeln, um an ihr Ziel zu gelangen. Durch die verschiedenen unvorhersehbaren Elemente im Spiel ist man aber auch gezwungen, seine Strategie in der Regel mit jedem Zug der Gegenspieler anzupassen. Man ist als Dracula-Spieler immer am Verfeinern, Anpassen und Variieren der eigenen Strategie. Da es als Dracula-Spieler nicht nötig ist mehr als eine begrenzte Zahl an Zügen voraus zu planen - in der Regel sind es zwischen 4 und 7 - ist man durchgehend am Spielgeschehen interessiert bzw. beteiligt.

Die Jäger hingegen müssen zu Beginn ein sehr weit gefasstes Netz auswerfen, um Dracula auf die Schliche zu kommen, und ihn dann gezielt anzugreifen und im Kampf zu erlegen. In der Regel dauert es etwa 4 oder 5 Züge, bis man Draculas Spur entdeckt hat. Als Jäger springt die Spielintensität schnell hin und her. Fühlt man sich zu Beginn noch machtlos, da Dracula überall in Europa sein kann; so packt einen schnell das Jagdfieber, wenn einer der Spieler in eine Stadt gelangt die Dracula vor kurzem besucht hat. Das ganze kann sich sogar steigern, wenn man Draculas Standort mehr oder minder genau kennt und auf eine direkte Konfrontation mit ihm aus ist.

Der stetige Wechsel zwischen strategischer Planung und taktischen Entscheidungen als Dracula-Spieler macht das Spiel sehr reizvoll. Als Jäger bemerkt man einen sprunghaften Spannunganstieg, sobald man Dracula auf den Fersen ist. Die Art und Weise, wie sich diese beiden Spannungskurven bei dem Spiel gegenseitig beeinflussen ohne dabei offensichtlich und durchschaubar zu sein, ist bemerkenswert. Obwohl die Handlungen der beiden Gruppen (Dracula und Jäger) nicht darauf abzielen, das Gegenüber zu unterhalten oder zu bespaßen, entsteht eine Spielsituation, die für alle Beteiligten Handlungsmöglichkeiten liefert und Spielspaß erzeugt. So wie es bei jedem guten Spiel sein sollte.

Donnerstag, Oktober 05, 2006

Etablierung von Zielen

Es heisst, dass jede Spielrunde ein Kompromiss zwischen den Teilnehmern ist. Das Spieler immer aus unterschiedlichen, zum Teil schwer miteinander vereinbaren, Gründen am gleichen Tisch sitzen und das Spiel, das sie spielen, aus diesen unterschiedlichen Interessen geformt wird. Ausserdem kann nur ein starker Mann (oder Frau) als SL Ordnung schaffen und gemeinsames Spiel ermöglichen, indem der SL klare Vorgaben gibt und die Entscheidungen fällt, zu denen die Gruppe alleine nicht in der Lage ist: Was wird gespielt und wie wird es gespielt?

Das lehne ich kategorisch ab. Allein weil es auf der Annahme basiert, dass eine Spielgruppe aus Personen besteht, die nicht eine Übereinkunft finden können wie sie ihre Zeit gemeinsam verbringen sollen; sondern eine Person brauchen, die es für sie durchsetzt. Solche Gruppen gibt es mit Sicherheit, daran besteht kein Zweifel. Aber das als allgemeinültig anzusehen und gar Rollenspiele auf dieser Annahme aufzubauen ist Irrsinn. Es führt dazu, dass Spiele keine stabiles Design mehr benötigen, um flüssig zu laufen. Stattdessen dürfen die Spieler selbst sehen wo sie bleiben und versuchen das Spiel so gut sie können am Laufen zu halten. Aber Menschen sind ja anpassungsfähig und so wurden eine Vielzahl von Vorgehensweisen entworfen um diesen Mangel zu beheben. All das wird durch die "Regel 0" kaschiert, die den Spielern erlaubt (!) alles an dem Spiel zu ändern, was ihnen nicht gefällt.

Desweiteren lehne ich es ab, da sie Rollenspiele zu einer Gattung von Gesellschaftsspielen verdammt, die aus unfertigen Spielen besteht. Spiele, deren Designkonzepte man erlernen muss, um sie dann zu bearbeiten. Die intellektuelle Herausforderung daran mag zwar interessant sein, sie fügt der Spielbarkeit jedoch großen Schaden zu. Viele Leute schreien nach besseren Einstiegsprodukten, die preiswert sind und Anfängern das Hobby auf einfache und spielerische Weise näher bringen. Das ist nicht möglich, wenn man Rollenspiele weiterhin als Universal-Spiele sieht, die jedes mögliche Spielziel bedienen können. Als Spiele, deren Zielsetzung und Inhalte erst von den Spielern erschaffen werden müssen - und bei deren Umsetzung die Regeln mit etwas Glück nur unnötig sind, statt ihnen komplett im Weg zu stehen.

Rollenspiele müssen mit Regeln konzipiert werden, welche ein eindeutiges und klares Spielziel formulieren. Wenn sie das tun, muss die Gruppe ihre Spielweise und ihre Spielziele nicht vor oder während des Spiels aushandeln. Denn das ist oft zeitaufwändig und kann je nach Gruppenzusammensetzung auch sehr schwierig sein. Aber ein Spiel mit klar formulierten Spielziel stellt die gemeinsame Basis dar, die für ein funktionierendes Spiel unerlässlich ist. All das setzt natürlich vorraus, dass die Regeln die oberste Instanz am Spieltisch darstellen und nicht der Spielleiter.