Montag, September 25, 2006

Das Ziel ist das Spiel

Jedes Spiel hat eine Zielsetzung. Etwas worum es geht. Bei Schach geht es darum, den gegnerischen König zu schlagen. Bei Mensch-Ärgere-Dich-Nicht geht es darum, die eigenen Figuren in Sicherheit zu bringen. Die Zielsetzung bei Junta lautet am Ende des Spiels das meiste Geld auf seinem Schweizer Konto zu haben. Die Spiele bauen meist ein mehr oder weniger komplexes Gerüst an Entscheidungen, Regeln und Würfelwürfen auf, um das Erreichen dieser Zielsetzungen interessanter und unterhaltsamer zu machen. Man muss erst die Verteidigung des gegnerischen Spielers ausschalten, bevor man die Möglichkeit haben kann den König zu schlagen; es muss erst ein Parcours mit den Figuren abgelaufen werden, bevor man sie in Sicherheit bringen kann usw. usf.

Bei einem guten Rollenspiel darf es nicht anders sein. Die üblichen Einsprüche, die auf eine solche Aussage meist folgen, sind schnell entkräftet.

"Ein Rollenspiel hat keine Zielsetzung. Es gibt beim Rollenspiel keine Gewinner oder Verlierer."
Eine Zielsetzung ist nicht das Gleiche wie eine Siegesbedingung. Das Erreichen einer Zielsetzung im Rollenspiel führt nicht dazu, dass man am Tisch zwischen Gewinnern und Verlierern entscheiden muss. Eine Zielsetzung ist nichts anderes als ein bestimmtes Spielmoment, auf das das gesamte Spiel ausgerichtet ist. Ein Spielmoment, das die Gruppe durch ihr gemeinsames Spiel erreichen will.

"Beim Rollenspiel gibt es nur eine Zielsetzung: Spaß haben!"
Ganz davon abgesehen, dass Platitüden ein schlechtes Argument sind; ist diese Behauptung ganz einfach deplaziert und stupide. Natürlich geht es darum Spaß zu haben; es geht darum die Zeit die man mit anderen verbringt auf eine Art und Weise zu verbringen die man als angenehm, wenn nicht sogar erfüllend empfindet. Gerade deshalb ist es nicht egal, wie man das tut. Es ist von oberster Wichtigkeit wie man Zeit miteinander verbringt. Die Zielsetzung hat auf das Spielgefühl einen immensen Einfluß. Wer die Zielsetzung seines Spiels nicht ernst nimmt, läuft Gefahr das Hobby auf Stumpfsinnigkeit und Langeweile herabzusetzen.

"Ich lass mir doch von einem Spielautor nicht vorschreiben, wie ich spielen soll. Ein Rollenspiel ist ein Spielzeug, ein Werkzeug dass ich benutzen kann, wie ich will!"
Gewäsch. Die typische Reaktion eines Rollenspielers, der dem Personenkult SL verfallen ist. Selbstverständlich lässt man sich vorschreiben, wie man das Spiel zu spielen hat. Es ist ein Rollenspiel. Es ist zum Spielen da. Man hat es sich gekauft, weil man es spielen will. Das Zusammenklauben einzelner Regeln oder Beschreibungen aus Dutzenden von Rollenspielbüchern ist nicht Sinn und Zweck solcher Rollenspielbücher. Genausogut könnte man sich Risiko, Siedler von Catan und Carcassone kaufen um damit sein altes Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Spiel "an die Vorlieben seiner Gruppe anzupassen". Es macht zweifellos Spaß, aber es verfehlt den Sinn des Ganzen.

"Die Gruppe setzt sich eigene Zielsetzungen. Ein gutes Rollenspiel steht beim Erreichen dieser Zielsetzungen nicht im Weg."
Dem könnte ich fast zustimmen. Schliesslich muss ich zugeben, dass viel zu viele Rollenspiele so miserabel geschrieben sind, dass man vollkommen ahnungslos ist, was denn nun die Zielsetzung des Rollenspiels sein könnte. Folgerichtig ist die Gruppe selbst darauf angewiesen eine Zielsetzung zu finden, die ihnen gefällt. Eine Vielzahl an Gruppen haben aus der Not eine Tugend gemacht und das zur wichtigen oder gar bedeutsamsten Eigenschaft des Rollenspiels erkoren.

Auch ist richtig, das die Vorlieben einer Gruppe fürs Spielen selbst eine wichtige Rolle spielen. Wenn jemand etwa Spaß an strategischen Entscheidungen hat aber Würfelspiele nicht mag, dann hätte dieser Spieler wohl mehr Spaß an Go als an Risiko. Man bemerke aber, dass sich das allein darauf auswirkt wieviel Spaß ein einzelner Spieler an einem Spiel hat. Es hat keine Bedeutung für einen gut funktionerenden Spielverlauf.

Für den Spielverlauf und damit das Spielgefühl ist es wichtig, dass das Spiel eine klar erkennbare Zielsetzung aufweist und das die Spieler diese Zielsetzung auch akzeptieren. Für die erste Hälfte ist der Spielautor zuständig. Er muss durch verständliche Erklärungen und einleuchtende Beispiele dem Leser des Buchs klar machen, worum es in diesem Spiel geht. Phrasen wie "aufregende Abenteuer erleben" oder "eintauchen in exotische Welten" sind dabei so verwirrend wie inhaltsleer. Als Leser muss ich wissen, was ich in diesem Spiel tue, warum ich es tue und was ich als Spieler davon habe. Aber all das ist natürlich vollkommen vergeblich, wenn die Spieler am Tisch lieber völlig andere Dinge tun wollen.

Ein Spiel ist erst dann gut, wenn es in seinem Text und den Regeln auf eine klar erkennbare Zielsetzung ausgerichtet ist.
Ein Spiel kann erst dann gut laufen, wenn jeder am Tisch gewillt ist, das Spiel nach den Regeln zu spielen und die Zielsetzung zu akzeptieren.

Über das Zusammenspiel zwischen Zielsetzung des Spiels und Zielsetzung der Spieler werde ich im nächsten Eintrag sprechen.

Donnerstag, September 14, 2006

Was Regeln wirklich leisten

Rollenspielregeln geben vor, wie wir am Spieltisch miteinander zu reden haben. Das klingt komisch. Ist aber so.

Brettspiele werden in der Regel auf einem Spielbrett oder etwas äquivalentem gespielt. Das Spiel findet meistens dort statt und die Spielsteine, Karten, Würfel, etc. werden dort gesetzt, verschoben und entnommen. Rollenspiele benötigen kein solches Brett. So zumindest die landläufige Meinung. Die – wie so häufig – so vereinfacht wie falsch ist. Das Rollenspiel-Brett ist der Dialog zwischen den Spielern; das was wir am Tisch sagen. Aus bestimmten Aussagen am Tisch wird dieses Brett zusammengesetzt (in Theorie-Sprech kann man das auch Situation nennen). Die Regeln in einem Brettspiel sagen uns, wie wir das Spielbrett aufbauen und durch das Spiel verändern. Rollenspielregeln tun genau das Gleiche. Sie sagen uns, wie wir das Brett aufbauen und durch das Spiel verändern.

Selbstverständlich kann jeder von uns auch ohne diese Regeln miteinander reden, bzw. über fiktive Figuren und ihre Taten sprechen und daraus eine Abenteuergeschichte spinnen. Die Regeln in einem Rollenspiel halten lediglich schriftlich fest, wie man auf bestimmte Aussagen eines Mitspielers reagieren kann und wie daraus ein Spiel entsteht. Regeln formalisieren die Interaktion zwischen den Spielern. Bestimmte Aussagen müssen je nach Spiel anders gewertet werden, da sie im Rahmen der Regeln und des Systems nach dem die Spieler spielen, einen anderen Stellenwert haben. Man stelle sich vor einer der Spieler würde folgenden Satz sagen: „Das Haus steht in Flammen und droht bald über euch einzubrechen.“

In meiner Warhammer FRP Runde würde dieser Satz verstanden werden als: „Die Charaktere sind in unmittelbarer Gefahr. Eure nächsten Handlungen werden über das Wohlergehen eurer Charaktere entscheiden.“ Die Spieler würden als nächstes versuchen die Charaktere in Sicherheit zu bringen und entsprechendes für sie ansagen.

Bei meiner Primetime Adventures Runde würde ein solcher Satz verstanden werden als: „Das brennende Haus soll als Aufhänger benutzt werden um das Charakterthema (Issue) einer Figur nach vorne zu stellen.“ Es würden verschiedene Vorschläge die Runde machen, wie man die Figur handeln lassen könnte, um das Charakterthema zu verdeutlichen und sie damit kämpfen zu lassen.

Das Spiel verleiht den Aussagen am Tisch Bedeutung - nicht die gemeinsam vorgestellte Situation.

Deshalb behandeln die essentiellen Regeln eines Rollenspiels nicht, ob ein Kurzschwert 2w4 oder 1w8 Schaden macht oder ob Elfen 4 oder 5 Stunden Meditation pro Tag brauchen. Es ist viel wichtiger klar und deutlich zu machen, welche Aussagen am Tisch spielrelevant sind und welche nicht. So wie man bei Monopoly wissen muss, was man machen muss, um seinen Spielstein irgendwo hin zu schieben um die Straße kaufen zu können; muss man beim Rollenspiel wissen was man tun muss, um das Spiel voranzutreiben. Gerade an diesem Punkt ist es hilfreich – wenn nicht sogar wichtig – Begriffe zu finden, die eine Art der Aussage von einer anderen Art der Aussage unterscheiden. Nicht weil Spieler solche Begriffe brauchen, um sich in einem Spiel zurecht zu finden. In der Praxis benötigt es nur ein paar gut gewählte oder erklärte Beispiele. Vielmehr müssen Designer sich über die Unterschiede im klaren sein, wie die Spielinteraktion in ihrem Spiel aussehen wird.

Deshalb gibt ein gutes Rollenspiel diese Dinge vor oder macht sie zumindest deutlich. Sei es über eine Core Story oder über einen eng gefassten Fokus, wie bei einigen Spielen aus der Forge-Community. Deshalb sind Spiele mit denen man „spielen kann wie man will“ nichts wert. Ausser für den leidenschaftlichen Genresammler, der sich an den stimmungsvollen Geschichten und Beschreibungen erfreuen kann.

Dienstag, September 05, 2006

Personenkult SL

Es macht sich eine perfide Lüge im Rollenspiel breit. Es wird doch allen Ernstes behauptet der Spielleiter wäre hauptverantwortlicher Alleinunterhalter in einer Rollenspielrunde. Das eine gute Runde mit ihm steht und fällt. Das ein SL für Atmosphäre, Spielfluß und Konsistenz verantwortlich ist und seine Gruppe wie ein Grundschulpädagoge im Zaum halten muss, damit das Spiel funktioniert. Im gleichen Atemzug wird den Spieler jegliche Verantwortung abgesprochen und sie unterstehen dem SL, der mit ihren Vorgaben seiner Verantwortung nachkommen muss. Häufig führt das zum SL, der die Handlungen der Spieler einschränkt und verändert um für Atmosphäre und Konsistenz zu sorgen. Hier werfen Leute gerne unreflektiert mit dem Begriff „railroading“ um sich.

Dann gibt es jedoch auch Leute, die genau darin ihre spielerische Herausforderung sehen: als SL für einen guten Spieleindruck zu sorgen, ohne dabei den Spielern wichtige Spielfreiheiten zu nehmen. Das sind Leute, die bei Rollenspielen ihr Erfolgerlebnis daraus ziehen, dass sie die gesamte Gruppe unterhalten und den anderen Leuten am Tisch immer etwas zu „spielen“ geben. Was meistens bedeutet gespannt den Erzählungen des SLs zu lauschen um in den richtigen Momenten mit Würfeln zu hantieren. Es ist kein Zufall das die meisten dieser SLs aus der ersten Gruppe herauswachsen und plötzlich der Meinung sind „echtes Rollenspiel“ entdeckt zu haben.

Vor allem in letzterem Fall unterwirft sich die Gruppe viel zu häufig ihrem wohlmeinenden Despoten, der über gute und schlechte Ideen der Spieler entscheidet und der darüber entscheidet was Sinn und Inhalt des Spiels ist. Die Unerfahreneren unter ihnen erkennt man daran, dass sie instinktiv zum „regellosen“ Spiel abgleiten und Rollenspiele nur noch wegen des Hintergrundes und überhaupt nicht mehr wegen der Regeln lesen. Sie suchen nach neuer Munition um ihre Gruppe mit ihrem Können zu beeindrucken. Erfahrene SL-Despoten nutzen Regeln nur selektiv und allein nach eigenen Vorlieben und treffen damit Entscheidungen über die Köpfe der Spieler hinweg. Aber ihnen allen ist gleich, dass sie für ihre SL Leistung bewundert werden wollen. Sie wünschen sich Applaus von ihrem Publikum und Gratulation für ihre Schwerstarbeit. Das ist ja an sich schon armselig genug. Viel erschreckender sind die Leute, die in ihrer Authoritätshörigkeit das auch noch liefern. Die dieses gestörte Verhältnis zwischen Spieler und Spielleiter akzeptieren und fördern. Man erkennt sie häufig daran, dass sie die gleichen Leute sind, die im Arschkriechen und Stiefellecken bei Paranoia rundum aufgehen und das für den Sinn des Spiels halten.

Das sind die Leute, die die Gruppenaktivität ignorieren um einem Personenkult zu fröhnen. Leute, die sich lieber anderen unterordnen und artig kuschen; als sich wie mündige, denkende Menschen zu verhalten und solchen SLs ins Gesicht zu sagen, wo sie sich ihre Selbstbeweihräucherung hinschieben können.

Rollenspiele sind Gesellschaftsspiele.

Das bedeutet das man gemeinsam ein Spiel spielt. Das man sich als Gruppe Gleichgestellter versteht und miteinander spielt. Die große Schwäche einiger Rollenspiele ist, dass sie dem Spielleiter nichts zu tun geben und er sich seinen Spaß aus solchen Kinkerlitzchen holen muss wie der Selbstdarstellung und dem daraus erhofften Ansehen der Gruppe. Das ist Kinderkacke. Das sind Sachen mit denen man sich als Identität suchender, pubertierender Jungendlicher beschäftigen kann und auch muss. Aber irgendwann reicht's auch. Irgendwann sollte man mal erwachsen werden und wie ein solcher Mensch spielen. Das bedeutet zusammen spielen, miteinander reden und vor allem das Spiel spielen und nicht versuchen die Leute zu bezirzen.